Pfarrer Diehl tritt in den Ruhestand:
Der „ewige Martin“ verlässt Egelsbach
stkEntspannt sitzt er auf der Mauer und lässt die Beine baumeln: Pfarrer Martin Diehl vor seiner langjährigen Wirkungsstätte, der evangelischen Kirche Egelsbach.27.06.2024 stk Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Den Gottesdienst gestaltete der langjährige Egelsbacher Geistliche gemeinsam mit seiner Kollegin Rebekka Adler und Dekan Steffen Held. Das große Abschiedsfest auf dem Kirchplatz nutzten anschließend viele Freunde und Wegbegleiter, um dem beliebten Seelsorger zu danken und ihm persönlich Lebewohl zu sagen.
„Martin Diehl ist einer wie keiner“, stellt Steffen Held fest. „Ich habe den Eindruck, er und Egelsbach haben sich gesucht und gefunden. In begeisternder Leidenschaft, stets mit ganzer Kraft und aus vollem Herzen hat er sein Gemeindepfarramt gelebt und Egelsbach über Jahrzehnte geprägt“, findet der Dekan im Evangelischen Dekanat Dreieich-Rodgau wertschätzende Worte. „Die Gemeinde und auch die Kirche in der Region verdanken ihm sehr viel und wir werden ihn unglaublich vermissen.“
„Diese Welt ein bisschen besser machen“
Geboren 1958 in Hofheim am Taunus, zog es Martin Diehl bereits in jungen Jahren zur Kirche. Die Konfirmandenzeit in der Thomasgemeinde empfand er als prägend. „Hier haben wir mit dem Gemeindepfarrer Helmut Zorn die Fragen des Lebens diskutiert“, erinnert er sich. Für das Theologiestudium entschied er sich, „weil ich dachte, wir müssen diese Welt ein bisschen besser machen“, schmunzelt er über seinen damaligen „Weltverbesserer-Ansatz“. Dem überzeugten Sozialisten von damals erschienen „die Lehren Jesu von Liebe, Gewaltfreiheit und Frieden genau die richtige Methode, um zu den Leuten zu gehen“.
Von 1978 bis 1985 studierte er Evangelische Theologie in Mainz und Marburg. „Es war eine Zeit, in der wir uns unser Studium selbst organisierten und Professorinnen und Professoren zu Blockseminaren einluden“, denkt er zurück und deutet lächelnd auf den alten Bauerntisch aus dem 18. Jahrhundert – ein Geschenk seiner Mutter für die erste Wohngemeinschaft, das ihn seither begleitet und heute im Arbeitszimmer steht. „Hier saßen schon Margot Käßmann und Wolfgang Huber und haben mit uns diskutiert“, sinniert er. Auch Martin Niemöller durfte er noch kennenlernen.
Über Palermo nach Egelsbach
Dem Vikariat in Wallau und Herborn folgte ein einjähriges Spezialvikariat im Centro Diaconale in Palermo, das sich als zukunftsweisend erwies: Dort lernte er in seiner Italienischlehrerin seine spätere Frau Adele kennen, die ihn bereits zu seinem Dienstantritt am 1. August 1988 in die Tränkbachgemeinde begleitete. Stephan Krebs, mit dem er sich anfangs Pfarrstelle und Pfarrhaus teilte, hatte ihm davon erzählt. Und die Informationen seiner Studienkollegin Barbara Görich-Reinel, die ihm bei einem Besuch in Süditalien aus Sicht der Langenerin über die Gepflogenheiten in der Nachbargemeinde ins Bild gesetzt hatte, dienten dazu, sein Interesse anzufachen. Am 11. September 1988 wurde er im ehemaligen Klammerschnitzerdorf ordiniert. In der Folge wechselten die Kolleginnen und Kollegen – unter ihnen auch die Langener Pfarrerin Susanne Alberti, die ihre ersten Dienstjahre in Egelsbach verbrachte und dort wertvolle Erfahrungen sammelte. Martin Diehl blieb.
Seit Anfang 2015 füllt Rebekka Adler die zweite Pfarrstelle in Egelsbach aus. „In fast zehn Jahren Zusammenarbeit habe ich Martins offene und einladende Art, allen Menschen zu begegnen, immer bewundert und geschätzt“, bekennt seine direkte Kollegin. „Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass unsere Kirchengemeinde wirklich ein Ort der Gemeinschaft ist. Er hat vieles möglich gemacht und er wird vielen fehlen. Mir wird er nicht nur als Kollege fehlen, sondern auch als Freund.“
Immer ansprechbar und gerne per Du
Diehl sagt, er sei gerne „ein ganz normaler Pfarrer“. Ganz normale Begegnungen mit Menschen in allen Lebenssituationen zu haben, das mache ihm Freude. „Ich wollte immer nah bei den Menschen sein, und das heißt, mit ihnen lachen, feiern, und wenn nötig, auch weinen“, erklärt er. „Das ist das Großartige an diesem Beruf – nirgendwo kriegst du so viel Nähe und Liebe wie als Gemeindepfarrer und kannst nirgends so viel Nähe und Liebe geben!“ Er begreift sich als traditionell-volkskirchlichen Dorfpfarrer, der für alle und alles ansprechbar ist – gerne auch direkt per Du. Damit scheint er zu der „ganz eigenen Egelsbacher Frömmigkeit“ zu passen, die aus seiner Sicht darin besteht, „Schmerzen zusammen auszuhalten, aber auch das Leben zusammen zu genießen“.
„Kerbvadder“ ehrenhalber
Bei seinem Amtsantritt hatte er Egelsbach als „eher kirchenfern“ erlebt. „Ich habe viel Spaß und Energie reingesteckt, um die Kirche als homogenen Bestandteil der Ortsgemeinde zu etablieren“. Als Türöffner diente die „Kerb im Parrehof“, verrät er. „Die Kerb war schon immer wichtig hier im Ort“, wusste er, und erweiterte die Tradition kurzerhand um eine Straußwirtschaft in seinem Hof. „Inzwischen kommen die Kerbburschen in den Gottesdienst, um sich segnen zu lassen“, freut sich der Seelsorger. „Viele junge Männer hier waren erst bei der Kinderbibelwoche dabei, dann als Konfirmanden, haben sich später als Teamer engagiert und sind heute Kerbburschen“, beschreibt er die typische Karriere. Besonders berührte ihn die Ernennung zum „Kerbvadder“ bei seiner letzten Kerb im Ort im vergangenen September. Dabei widmete ihm der „Große Kerbborsch“ seinen ganz persönlichen Kerbspruch zum Abschied.
Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit
Die Kinder- und Jugendarbeit lag ihm stets am Herzen. Als jährliches Highlight nennt er die Kinderbibelwoche mit 150 bis 200 Kindern, um die sich neben den Geistlichen und den Pädagoginnen 50 bis 80 Teamer kümmern. „Das ist intensives theologisches Arbeiten mit jeder Menge Spaß, Musik und Erleben“, so Diehl. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von den Herbst- auf die Osterferien vorverlegt, damit er noch einmal dabei sein konnte.
Gerne denkt er auch an das 300. Gemeindejubiläum im Jahr 2005 zurück. „Zur Eröffnung gab’s eine Beachparty für Jugendliche mit Liegestühlen, Cocktails und tonnenweise Sand auf dem Kirchplatz. Wir hatten viele Veranstaltungen, Konzerte, einen Festumzug mit 50 Zugnummern und einen Festgottesdienst mit weit über 1.000 Teilnehmenden.“ Drei Wochen später galt es dann, den ökumenischen Dekanats-Kirchentag zu stemmen. Denn Diehl war nicht nur Seelsorger in Egelsbach. Von 2000 bis 2006 fungierte er auch als Dekan im ehemaligen Dekanat Dreieich, von 1989 bis 1995 als Dekanatsjugendpfarrer. Die Arbeit in kirchenpolitischen Gremien schreckte den Theologen nicht. Von 1992 bis 2021 gehörte er der Dekanatssynode an und arbeitete von 2010 bis 2021 als Delegierter in der Landessynode mit an der Zukunft der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
Ein „großer Ökumeniker“
Er selbst bezeichnet sich als „großen Ökumeniker“. Stets suchte er den Austausch mit katholischen Kollegen und die Zusammenarbeit mit der katholischen Gemeinde. Ist er doch der Überzeugung, dass es „Menschen verschiedenster Generationen viel wichtiger ist, glaubwürdige Christen zu sein als ihre konfessionellen Besonderheiten zu pflegen“. Als einen „Höhepunkt unserer ökumenischen Gemeinschaft“ bezeichnet Elmar Jung den diesjährigen Gottesdienst im Park von Schloss Wolfsgarten, den die beiden Geistlichen am 1. Mai gemeinsam zelebrierten. „Es ging um den Propheten Elia, müde geworden in seinem Dienst, dem ein Engel Essen und Trinken zur Seite stellte und ihm neuen Mut zusprach, trotzdem weiterzugehen. 400 Leute waren da, 150 Brote haben wir verteilt, damit die Menschen selbst füreinander zu Engeln werden“, beschreibt der katholische Pfarrer die besondere Atmosphäre.
In zivilgesellschaftliche Fragen einmischen
Dass die Kirche einen politischen Auftrag hat, war ihm immer bewusst. „Wir müssen uns in zivilgesellschaftliche Fragen einmischen, nicht nur mit besserwisserischen Worten bei der Sonntagspredigt“, betont er. „Wir brauchen konkrete, gut strukturierte Aktivitäten, damit diese auch Bestand haben!“ Als erfolgreiche Beispiele vor Ort nennt er die Christliche Flüchtlingshilfe Egelsbach-Erzhausen (CFEE), in denen sich Gemeindemitglieder gemeinsam mit der katholischen Pfarrei und weiteren Aktiven für die Integration geflüchteter Menschen einsetzen. Oder die Gemeindebücherei, deren Fortbestand gesichert werden konnte, indem die Kirchengemeinde die Trägerschaft von der Kommune übernahm. Auch das Familienzentrum (eFa) erfülle mit seiner vielfältigen Veranstaltungspalette einen wertvollen Bildungsauftrag im Ort. Abschließend nennt er „Egelsbach ist mehr“, ein Bündnis gegen rechts, in dem Katholiken und Protestanten sowie alle politischen Parteien und Sportvereine Mitglieder sind und sich gemeinsam gegen Rassismus und Diskriminierung stark machen.
Strukturelles und spirituelles Arbeiten
Um derlei Ideen umzusetzen, bedarf es der Mithilfe vieler: „Ich hatte die ganze Zeit super Kollegen und sensationelle Kirchenvorstände“, betont der scheidende Pfarrer. „Martin hat so viele Menschen für das Mitwirken in der Kirchengemeinde begeistern können. Unzählige Jugendliche und auch Erwachsene durften sich hier erproben, entwickeln und ihren Glauben entdecken und vertiefen“, lobt Christina Eckert. „Auch für die manchmal recht verwaltungslastige Arbeit im Kirchenvorstand konnte er viele Ehrenamtliche gewinnen“, so die Kirchenvorstandsvorsitzende. „Wir haben uns immer viel Zeit genommen, sind zweimal im Jahr für ein Wochenende gemeinsam weggefahren, um strukturell an der Zukunft der Kirchengemeinde zu arbeiten oder dem Gremium unter dem Motto „Spirit for KV“ etwas Gutes zu tun“, erläutert er selbst. Für Christina Eckert absolute „Highlights – manchmal anstrengend und arbeitsintensiv, aber immer in einer wunderbaren Atmosphäre von Gemeinschaft, Vertrauen und viel Spaß miteinander.“
Kontakt zu den Menschen
„Die Kirche steht und fällt mit den Begegnungen der Menschen“, ist Martin Diehl überzeugt. Daher empfand er die Corona-Zeit als „Katastrophe für unsere lebendige Kirchengemeinde“. Weiß er doch, „der Kontakt zu den Leuten ist das A und O – und zwar auf allen Ebenen“. Diesen hielt die Gemeinde nicht nur über Fernsehgottesdienste, Briefe und Anrufe bei Gemeindegliedern aufrecht. Der Pfarrer ist auch aktiv in den sozialen Medien und hat zahlreiche Follower auf Facebook und Instagram. „Diese Form der Kommunikation gehört einfach dazu“, meint er, „ist aber auch zeitraubend“. Daher ist er „froh, dass ich nach meiner Ruhestandsversetzung an dieser Stelle keinen Druck mehr habe“.
Von Südhessen an die Nordsee
Inzwischen präsentiert sich Diehls Arbeitszimmer recht übersichtlich. In den vergangenen Wochen und Monaten hat das Paar das Pfarrhaus schon kräftig ausgeräumt. Vom Südhessischen zieht es die Pensionäre nun an die Nordsee. Das Haus in Nieblum auf Föhr, schon lange im Familienbesitz, ist vom Urlaubsdomizil zum Alterssitz aufgerüstet. Nun, da der Zeitpunkt des Auszugs näher rückt, geht der langjährige Seelsorger „nicht mit Sorge, sondern mit dem ruhigen Gefühl, dass die Gemeinde für die Zukunft gut aufgestellt ist“. Dies gelte „sowohl personell mit dem Team, den Ehrenamtlichen und dem Kirchenvorstand – als auch finanziell mit Freundeskreis und Förderverein und der gut funktionierenden Stiftung“. Wer ruhigen Gewissens seinen langjährigen Wirkungskreis verlassen kann, dem fällt der Abschied vielleicht nicht ganz so schwer.
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