Schüler und Azubis pilgern von Andernach nach Trier
Beten mit den Füßen
Fabian RaduFröhliche Gesichter beim Start der diesjährigen Pilgertour vor der Emporenbasilika Maria Himmelfahrt in Andernach am Rhein.24.07.2023 stk Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Startpunkt bildete in diesem Jahr Andernach am Rhein. Von dort aus führte der Weg die Teilnehmenden über acht Etappen insgesamt 160 Kilometer auf dem Eifel-Camino bis zur ältesten Stadt Deutschlands. Dabei bezog die 20 Personen starke Gruppe in sieben Nächten Quartier in einfachen Unterkünften, wie einem Matratzenlager in der Jugendherberge, einem Bürgerhaus sowie katholischen und evangelischen Gemeindehäusern. „Die Gastfreundschaft war überall überwältigend“, freut sich Stock.
Entschleunigende Auszeit
Die Idee zu der Pilgerreise kam dem Geistlichen, während er gemeinsam mit seiner Frau in der Schweiz ein Stück des Jakobswegs zurücklegte. „Dabei habe ich gemerkt, dass diese Form des Unterwegsseins mehr ist als Wandern“, erklärt er. „Es ist eine Auszeit, die entschleunigend wirkt und einen zur Besinnung kommen lässt.“ Daraufhin überlegte er sich: „Das könnte auch Schülerinnen und Schülern guttun.“ In der Darmstädter Lehrerin Andrea Schneider fand er eine Mitstreiterin, und so etablierte sich das Angebot seit 2010 zum festen Baustein an beiden berufsbildenden Schulen.
Die Teilnehmenden sind üblicherweise zwischen 16 und 20 Jahre alt, das Alter von Umschülern liegt naturgemäß höher, manchmal schließen sich auch Ehemalige an. „So kommen Jüngere mit etwas Älteren in Kontakt und können von deren Erfahrungen profitieren“, erläutert der Pfarrer. Für die Fahrt müssen sich die Schüler und Auszubildenden zuvor von ihren Klassenlehrern oder Ausbildungsbetrieben vom Unterricht oder von der Arbeitszeit befreien lassen.
160 Kilometer in acht Etappen
Eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme stellt das richtige Equipment dar. „Als Ausrüstung sind gut eingelaufene, leichte Wanderschuhe sowie ein Wanderrucksack mit einem Volumen von 35 bis 45 Litern nötig“, betont der Seelsorger. Denn die Pilgernden legen am Tag 20 bis 25 Kilometer zurück – und tragen ihr Gepäck die gesamte Zeit auf dem Rücken. So gelte es schon im Vorfeld beim Packen, „sich aufs Notwendigste zu reduzieren und allen Ballast daheim zu lassen.“
Unterwegs erregen die Pilgernden oft Aufmerksamkeit, berichtet er. Eine so große Gruppe, die sich zu Fuß fortbewege, falle nun einmal aus den üblichen Erwartungshaltungen heraus. „Innerorts werden wir häufig angesprochen und gefragt, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen“, erzählt der 58-Jährige. „Und wir stoßen während der Reise immer auf große Hilfsbereitschaft bei der Bevölkerung.“
Intensive Form der Fortbewegung
Von 9 bis 18 Uhr ist die Pilgerschar auf den Beinen, - immer so schnell, wie die Langsamsten. „Wenn jemand nicht mehr kann, warten die anderen, nehmen Rücksicht auf einander.“ So reduziere sich der Tagesablauf im Wesentlichen darauf, gemeinsam das Ziel zu erreichen, als Gruppe anzukommen.
Für viele der Teilnehmenden sei es „das erste Mal, dass sie sich so langsam fortbewegen und die Erfahrung machen, dass sie ihre Umwelt ganz anders wahrnehmen, als wenn sie fahren oder gar fliegen“. Auch die Annehmlichkeiten der digitalen Medien stehen vielfach nicht zur Verfügung, denn „häufig gibt es über große Wegstrecken keinen Empfang“, schmunzelt Stock. „Aber WLAN und Fernsehen werden üblicherweise nicht vermisst“, so sein Eindruck. Denn ein Effekt dieser relativ ungewohnten und intensiven Form der Fortbewegung sei es, „dass wir alle abends rechtschaffen müde sind. Dann möchten wir nur noch duschen und sind froh, wenn wir in den Schlafsack dürfen“, gibt er zu.
Morgensegen und Meditationsübungen
Angesprochen fühlen sich nicht nur Christen, sondern durchaus auch Kirchenferne und immer wieder auch einmal Angehörige anderer Religionen, wie etwa in diesem Jahr ein Ahmadiyya, bilanziert der evangelische Theologe. Ihm ist es wichtig, „dass die jungen Menschen etwas erleben, durchaus auch Spirituelles“, sagt er. Nicht umsonst nenne man das Pilgern auch „Beten mit den Füßen“. Einen festen religiösen Impuls bildet der tägliche Morgensegen, zwischendurch streut er Meditationsübungen ein, wie beispielsweise eine halbe Stunde Schweigen. Hinzu kommt eine abendliche Gesprächsrunde, meist von den Teilnehmenden selbst gestaltet. In diesem Jahr ging es um Themen, wie „Welche Menschen sind mir wichtig?“, „Ist der Mensch gut oder böse?“, „Was ist der Unterschied zwischen Glauben und Vertrauen?“ oder „Kraft schöpfen durch richtiges Atmen“.
Und immer wieder bietet sich die Gelegenheit, ungezwungen seelsorgerliche Gespräche zu führen – ganz ohne Termin. „Viele Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich in Schwellensituationen und sind auf der Suche nach Orientierung“, führt Stock aus. Dann tue es gut, Abstand zu gewinnen und quasi von außen drauf zu schauen, „Was möchte ich eigentlich einmal machen, welche Ziele habe ich, was ist mir wichtig.“
Gute Atmosphäre unterwegs
Fabian Radu weiß bereits, was er nach der Schule machen will: Der 19-Jährige möchte zunächst eine Ausbildung zum Lokführer absolvieren und für die Deutsche Bahn arbeiten. Sein Traum ist es, später einmal als Schiffskapitän auf den Weltmeeren zu kreuzen. Er ist bereits zum zweiten Mal mit gepilgert. „Als Matthias Stock das Konzept im vergangenen Jahr unserer Klasse vorgestellt hat, dachte ich gleich: Das klingt interessant, da könnte ich mitmachen“, erinnert er sich. Von seinen damaligen „Mitläufern“ kannte der Langener zunächst keinen, freundete sich aber schnell mit einigen an und freute sich, mit diesen Leuten wieder Zeit zu verbringen. „Es herrschte einfach eine gute Atmosphäre und gab kaum Konflikte unterwegs“, berichtet er. „Und es hat etwas Beruhigendes, den ganzen Tag stundenlang kilometerweit durch die Natur zu laufen.“ Durch das Pilgern hat er nun das Wandern für sich entdeckt. Und durch den täglichen Morgen-Impuls fühlt sich der Katholik in seinem Glauben gestärkt. Für nächstes Jahr hat er jedenfalls schon einen festen Termin im Kalender: die Pilgerreise vor den Sommerferien.
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