Dekanat Rodgau

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    Flüchtlinge

    Aufruf zur „Stillen Demonstration“ als Zeichen der Solidarität mit afghanischen Geflüchteten

    Fotos: Schlitt / KapoorSamir Narangs Verwandte demonstrieren gegen die Abschiebung ihres Familienmitglieds.

    Mit einer „Stillen Demonstration" wollen Menschen aus Alsfeld und Umgebung am 22. Dezember ab 16 Uhr auf dem Alsfelder Marktplatz ihre Solidarität mit den Flüchtlingen aus Afghanistan zeigen. Mit dabei die 24-jährige Afghanin Yeshma - er berichtet vom Greuel in dem Land.

    Schlitt / KapoorYeshma Kapoor will alles möglich machen, um ihren Verwandten nach Deutschland zurückzuholen.

    Am 14. Dezember hat die Bundesregierung 34 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben. Kirchen, Flüchtlingshilfeorganisationen und auch einige Vertreter politischer Parteien hatten dies aus humanitären Gründen lange Zeit für unmöglich gehalten. Dass Afghanistan sicher sei, bezeichnet Pfarrer Walter Bernbeck von pro Asyl als die „größte organisierte Lüge der letzten Zeit.“

    In ihrer gemeinsamen Kasseler Erklärung haben das Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW und die Diakonie Hessen die Sicherheitslage in Afghanistan als prekär, fragil und unvorhersehbar eingestuft, in den letzten Wochen habe sie sich noch verschlechtert. Diese Einschätzung teilen zahlreiche Verbände sowie die Parteien Die Linke und die Grünen, die sich alle klar gegen diese Abschiebepraxis der Bundesrepublik ausgesprochen haben. Beobachter stufen das Land nach dem Irak, Syrien und dem Südsudan als das viertgefährlichste Land der Welt ein. Abschiebungen dorthin seinen verantwortungslos und verstießen gegen die Menschrechte, so die Einschätzung von Menschenrechtsgruppen und zahlreichen Journalisten.

    Entsetzen über Abschiebung

    Was die Abschiebung im Einzelfall für Folgen haben kann, berichtet Yeshma Kapoor. Sie stammt aus Afghanistan, hat nach vielen Jahren der Duldung einen deutschen Pass. Sie ist engagiert als Integrationslotsin der Caritas und als ehrenamtliche Sprachmittlerin für Geflüchtete. Meistens steckt sie ihre Mitmenschen mit ihrer positiven Ausstrahlung an, doch in diesen Tagen sieht das anders aus, Yeshma ist bestürzt. Nicht nur, weil in der Afghanistan-Politik der Bundesregierung offenbar eine humanitäre Grenze überschritten wurde, sondern auch, weil sich unter den Abgeschobenen auch ein Mitglied ihrer weiteren Familie befand: Samir Narang, ein Cousin ihres Schwagers, lebte seit vier Jahren in Hamburg. Er hatte nur eine Duldung, hangelte sich damit von Aufenthaltserlaubnis zu Aufenthaltserlaubnis. Als er letzte Woche wieder an der Ausländerbehörde vorstellig wurde, um sein Visum verlängern zu lassen, wurde er ohne Vorwarnung aufgegriffen und in den Flieger gesetzt.

    Angst vor radikal-islamistischen Übergriffen

    Seine ganze Familie ist hier – schockiert über diesen Vorfall, der nicht nur die Familie auseinanderreist, sondern auch noch einen ganz anderen Aspekt hat: Zum einen hat der 24-Jährige überhaupt keine Anlaufstelle mehr in Afghanistan, zum anderen gehört er als gläubiger Hindu einer Minderheit an, die – sollte es zu radikal-islamistischen Übergriffen kommen – als erste Zielscheibe von Gewalt ist.

    Yeshma Kapoor hat erlebt, was diese Gewalt bewirken kann: „Vor vielen Jahren wurde mein damals 20-jähriger Bruder einfach so abgeschlachtet. Er kam nicht vom Einkaufen zurück, einen Tag später fanden wir ihn übel zugerichtet im Wald. Ich möchte nicht, dass es Samir ebenso geht. Ich möchte, dass wir alles daransetzen, ihn zurückzuholen.“ Yeshmas Handy ist voll von Nachrichten, Fotos und Filmen. Sie ist in Kontakt mit vielen Gruppen, mit ihrer Familie, die in ganz Deutschland verstreut lebt – und sie hofft mit den verzweifelten Eltern, dass die Bilder aus der Tagesschau, die Samir Narang zeigen, nicht die letzten waren, die sie von ihm gesehen haben.

    Lage in Afghanistan verschlimmert sich

    Nach dem Tod von Yeshmas Bruder wurde die Lage für die Familie in Afghanistan immer schlimmer. Als Hindus hatten sie kaum Rechte in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land. Die Familie floh über Indien und die Türkei nach Deutschland. Das war vor 21 Jahren. Eine lange Zeit davon lebte auch Yeshma mit ihrer Familie als Geduldete. „Ich weiß, dass man mit diesem Status auch in einem Land wie Deutschland nicht viele Rechte hat, dass man immer damit rechnen muss, abgeschoben zu werden. Wir haben selbst viele Jahre mit dieser Angst gelebt“, berichtet sie, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Allein durch unermüdliche Arbeit und eine unglaubliche Kraft haben sie und ihr Mann es vom Geduldetsein dahin gebracht. Yeshma ist stolz darauf, aber ihre Regierung versteht sie nun aber überhaupt nicht mehr: „In Afghanistan herrscht Krieg, da gibt es keinen sicheren Ort, für niemanden“, weiß Yeshma, „dorthin kann man niemanden zurückschicken.“

    Afghanistan-Politik von Deutschland und der EU ist eine Katastrophe

    Diese Meinung teilt auch Pfarrer Walter Bernbeck. Vor vielen Jahren lebte er in Afghanistan und hat den Kontakt dorthin nie verloren. „Die Afghanistan- Politik Deutschlands und der EU ist eine Katastrophe“, befindet er unverblümt. „Die Bundeswehr weiß sehr genau, dass es in Afghanistan nicht sicher ist. Nicht umsonst hat sie kaum Kontakt mit der Bevölkerung und nicht umsonst ist sie überhaupt noch dort. Es kann sich bei dieser Maßnahme daher nur um ein politisches Signal handeln.“ Dafür spräche auch die großangelegte Inszenierung, mit der die Abschiebung der Öffentlichkeit habe sagen sollen: „Seht her, wir können doch abschieben.“ Eine solche Maßnahme solle nicht zuletzt den AfD-Wählern den Wind aus den Segeln nehmen und werde doch auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, die hier Schutz suchen.

    Zufallsprinzip soll abschrecken

    Unter den Abgeschobenen waren Menschen, die wie Samir schon viele Jahre hier lebten. Was dem einen erscheint, wie eine Auswahl nach dem Zufallsprinzip, sehen Kenner der Szene anders: „Hier soll klar signalisiert werden: Es wird durchgegriffen und es kann jeden treffen. Kein Afghane mit Duldung ist hier mehr sicher“, lautet die Einschätzung der Vertreter von pro Asyl.

    „Und genauso fühlen sich die Afghanen in unseren Unterkünften auch hier in Alsfeld und dem Vogelsberg“, berichtet Bernbeck, der – da er ihre Sprache spricht – viel Kontakt zu den afghanischen Geflüchteten hat. „Ihre Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Sie alle leben in einer unvorstellbaren Angst.“ Insider berichten, dass nach Weihnachten bereits weitere Abschiebungen nach Afghanistan geplant seien – wer davon betroffen sein wird, weiß man nicht.

    Zukunft ungewiss

    Und so ist es auch fraglich, ob Samir Narang jemals wieder seine Familie in Deutschland sehen wird, oder ob nicht am Ende auch seine Eltern zurückgeschickt werden. Ganz aussichtslos seien die Versuche, Samir nach Deutschland zurückzuholen, allerdings nicht, glaubt Bernbeck: „Ich hoffe, dass die Afghanistan-Flüchtlingspolitik der Bundesregierung hiermit ihren Tiefpunkt erreicht hat. Die Aktionen haben großes öffentliches Interesse erregt, und es kommt jetzt so einiges in Gang.“

    Nicht zuletzt gibt es offene Asylverfahren von Afghanen, zu denen nun gerichtliche Grundsatzentscheidungen anstehen. Flüchtlingshilfeorganisationen hoffen, dass die Rechtsprechung hier die Lage in Afghanistan richtig einschätzt und neue Bleibeperspektiven schafft. Dann könnte auch Samir Narang eine Aufhebung der Wiedereinreisesperre beantragen. Dazu müsste er auch seine persönliche Bedrohung in Afghanistan dokumentieren. Bleibt zu hoffen, dass er das dann noch kann.

    Aufruf zur „Stillen Demonstration"

    Dem Aufruf angeschlossen haben sich bisher ALA - Alternative Liste Alsfeld, AWO - Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Vogelsberg, DGB - Deutscher Gewerkschaftsbund Kreisverband Vogelsberg, DIE LINKE Kreistagsfraktion, DIE LINKE Kreisverband Vogelsberg, DITIB - Islamischer Verein Alsfeld und Paritätischer - Paritätischer Wohlfahrtsverband Vogelsberg.

    Wer an der „Stillen Demonstration" am Donnerstag, 22. Dezember teilnehmen möchte, wird gebeten Kerzen mitzubringen.
    Weitere Informationen gibt es auf der Website www.alsfeld-evangelisch.de oder direkt beim evangelischen Dekanat in Alsfeld oder unter der Telefonnummer: 06631 9114918.

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