Dekanat Rodgau

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    Vortrag: Antisemitische Verschwörungsmythen

    "Bildungsangst und Opferneid sind Wurzeln des Judenhasses"

    kfDr. Michael BlumeDr. Michael Blume

    „Antisemitismus und Verschwörungsmythen in der medialen Welt“ – mit einem erneut brandaktuellen Thema nach „Islam in der Krise“ im Jahr 2018 war der Religionsforscher und Autor Dr. Michael Blume am vergangenen Donnerstag zum zweiten Mal zu Gast in Heusenstamm - diesmal online, aber mit nicht minder spannenden Thesen.

    Auf Einladung der örtlichen Kirchengemeinde und des Evangelischen Dekanats Dreieich-Rodgau hatte sich der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung in einer Videokonferenz zu den rund 40 Zuschauer*innen geschaltet und einen zeitlichen Bogen bis in die Antike über das Phänomen „Antisemitismus“ gespannt, das stets in Begleitung oft kruder Verschwörungstheorien auftrete.

    Die gute Nachricht: Studien zeigten, so Blume, dass die Zahl antisemitisch oder antijüdisch denkender Menschen nicht zunehme. Aber durch die Möglichkeiten der digitalen Welt „können sich Menschen, die antisemitisch, rassistisch oder frauenfeindlich denken, leichter zusammentun, sich besser vernetzen und gegenseitig hochpeitschen“. Soziale Medien seien willkommene Resonanzräume für ihre menschenverachtenden Haltungen – auch dazu, sich als eigentliche Opfer einer „jüdischen Weltverschwörung“ zu gerieren, Menschen Angst einzureden und sie danach häufig noch auf einem gut bestückten Esoterik- und Merchandisingmarkt „abzuzocken“.

    Antisemitismus gedeiht in Protestbewegungen

    Ebenso gedeihe Antisemitismus in zahlreichen Protestbewegungen, etwa gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern, in deren Verlauf sich Coronaleugner*innen mit Anne Frank und Sophie Scholl verglichen hatten und auch hinter dem Virus und der Entwicklung der Impfstoffe eine jüdische Verschwörung vermuteten. „Sogar während der Debatte um Diesel-Fahrverbote vor ein paar Jahren gab es Menschen, die mit einem Judenstern und der Aufschrift ‚Diesel-Fahrer‘ durch Stuttgart gelaufen sind.“

    „Antisemitischer Hass wird niemals satt“, ist der Forscher, Dozent und Autor überzeugt. „Es müssen immer mehr Menschen beschuldigt, angegriffen und getötet werden. Menschen, die heute Synagogen angreifen, greifen morgen Menschen auf der Straße, Parlamente oder Kommunalpolitiker an“, zog Blume Parallelen zu Ereignissen der Wochen und vergangenen Monate.  Darin liege eine häufig übersehene Gefahr des Extremismus.

    Die gleichen Mythen in neuem Gewand

    Zudem zeige sich, dass „die gleichen Verschwörungsmythen in immer neuen Deckmänteln aufkommen.“ Die alten Narrative würden schlicht angepasst und in eine neue Sprache gekleidet: Im Jahr 1486 behauptete der Dominikanermönch Heinrich von Spee in seinem antisemitischen „Hexenhammer“, Frauen und Juden täten sich zusammen, um aus kleinen Kindern Hexensalbe zu produzieren. „Exakt das gleiche Narrativ finden Sie heute in der so genannten „QAon“-Bewegung: Deren Anhänger verehren Donald Trump als Heilsbringer gegen vermeintlich ausbeuterische und selbstverständlich jüdische Eliten, die aus dem Blut unterirdisch gefangen gehaltener Kinder einen Stoff namens Adenochrom gewönnen.“

    Angst vor dem Bildungsideal der jüdischen Kultur

    Antisemitismus reiche indes viel weiter zurück – und dabei seien, so Michael Blume, Bildung und Opferneid Schlüsselantworten auf die Frage: „Warum immer die Juden – auch nach fast genau 1700 Jahren Judentum allein in Deutschland?“ Hier holt der Autor des Buchs „Verschwörungstheorien und Antisemitismus“ weit aus und beschreibt das Judentum als die erste Religion oder Kultur, die eine Alphabetschrift – also eine Lautschrift – einführt, Lesen und Schreiben damit „im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht macht“ und breiten Schichten Zugang zu Bildung ermöglicht. „Hier entsteht das Ideal: „Jeder Mensch soll Zugang zu Bildung haben, jedes Kind darf groß werden - auch unabhängig von seinem Geschlecht. Das war damals neu. Das Judentum ist die erste Bildungsreligion.“

    „Und hier“, führt Dr. Blume fort, „entsteht der Vorwurf: ‚Mit denen stimmt was nicht! Die sind schlau! Die achten auch Frauen! Die sind vernetzt und halten zusammen! Die sind gefährlich!‘“ Letztendlich sei es die Angst vor dem Bildungsideal der jüdischen Kultur, die als Unterlegenheitsangst und Antisemitismus in christliche und islamische Kultur und später sogar in die Aufklärung miteinziehe. „Und hier wurzelt auch der heutige Antisemitismus mit seinen Verschwörungsmythen.“

    Kinder und Jugendliche brauchen Begegnungsräume gegen den Hass

    In der anschließenden Diskussionsrunde ermutigte Dr. Blume die Zuhörer*innen, selbst in Gespräch und Begegnung zu bleiben: „Bildung begeistert da, wo man es in Kontakt mit anderen tut, wo man etwas über andere und damit auch über sich selbst erfährt. Begegnung mit anderen Religionen und Kulturen bedroht nicht, sondern öffnet und hilft, nach vorn zu blicken.“ Deswegen seien Maßnahmen wie die interreligiösen Projekte „Faith & Food“ und „Glauben. Gemeinsam. Gestalten.“ des Evangelischen Dekanats Dreieich-Rodgau sowie die Gruppe „Religionen im Gespräch“ der Evangelischen Kirchengemeinde Heusenstamm so wichtig.

    Manch ältere Menschen täten sich mit Veränderung schwer. „Kinder und Jugendliche wollen, dass man ihnen Räume gibt. Wenn wir es schaffen, sie vor Hass zu schützen, dann haben wir viel gewonnen, denn junge Leute sind der Schlüssel.“ Auch im Schulunterricht müsse es vielmehr darum gehen, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, statt von Schuld zu sprechen, sie von ihrem Wissen und ihren Erfahrungen erzählen zu lassen“ und gemeinsam zu überlegen, wie eine gute Zukunft aussehen kann.

     

    Infobox

    Der Vortrag von Dr. Michael Blume wurde aufgezeichnet und steht demnächst auf dem Youtube-Kanal der Evangelischen Kirchengemeinde Heusenstamm: (https://www.youtube.com/channel/UC6F7R-LNTXYFSRoLOj1zd3w)

    Neben seiner Arbeit als Autor betreibt Dr. Michael Blume auch einen Podcast zum Thema des Abends: Unter www.verschwoerungsfragen.podigee.io widmet er sich verschiedenen Verschwörungsmythen und beleuchtet Hintergründe und Zusammenhänge.

    Die Gruppe „Religionen im Gespräch“ der Evangelischen Kirchengemeinde Heusenstamm trifft sich an jedem 3. Donnerstag im Monat um 19:30 Uhr, derzeit online und ansonsten im Evangelischen Familienzentrum, Leibnizstraße 57. Weitere Info auf der Webseite der Kirchengemeinde (https://evkirche-heusenstamm.ekhn.de) sowie bei Pfarrer Sven Sabary, Telefon (06104) 64 38 85, sven.sabary@ekhn.de.

    Das interreligiöse Online-Kochprojekt „Faith & Food“ des Evangelischen Dekanats Dreieich-Rodgau, in dem Profi- und Hobbyköche aus dem Rhein-Main-Gebiet am Herd und in einem Online-Talk über Gott und die Welt, Rezepte und Glaubenstraditionen sprechen. finden Interessierte unter www.faithandfood.de.  

    Informationen zum Dekanatsprojekt „Glauben.Gemeinsam.Gestalten.“ sind erhältlich bei der Projektverantwortlichen Dagmar Gendera, Telefon (0176) 14846100, dagmar.gendera@ekhn.de.

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