Griechenland
Damit die Liebe eine Zukunft hat: Vom Ägäischen Meer nach Frankfurt am Main
Rita DeschnerKapelle in der griechischen Stadt Kriopigi.08.07.2015 cm Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Charlotte MattesRita Lehmann-Kynast hilft griechischen Neuzuwanderern.Nach dem klaren „Oxi“ der griechischen Bevölkerung zu den Forderungen der Gläubiger ist noch unklar, wie es mit dem europäischen Land weitergeht. Für Nikos aus Thessaloniki ist das Nein ein Zeichen für Demokratie. „Das Volk kann seine Zukunft so selbst bestimmen.“ All seine Verwandten, bis auf seine Mutter haben mit Nein abgestimmt. „Meine Mutter hatte Furcht davor, dass sie kein Geld mehr vom Geldautomaten abheben kann“, fügt Nikos hinzu.
„Ich wollte eine Familie gründen und das war der einzige Weg“
Der 27-Jährige ist seit 2012 in Frankfurt. „Es war eine spontane Entscheidung aus dem Bauch“, sagt er in sehr gutem Deutsch. „Ich wollte eine Familie gründen und das war der einzige Weg. Vielleicht könnte man sagen, dass es um Liebe geht“, sagt Nikos und lächelt seine Frau Sosana an. Das Paar hat sich an der griechischen Universität in Alexandroupolis, in Nordgriechenland, kennengelernt und ineinander verliebt. Beide haben Grundschullehramt studiert. Doch keine Perspektive in ihrem Beruf gesehen. „Es geht um die aktuelle Geringschätzung von Lehrern“, sagt Nikos ernst. Er erklärt, dass die meisten griechischen Lehrer häufig als Vertreter arbeiten würden. Konkret hieße dies: „Man muss das ganze Jahr von Insel zu Insel umziehen“, für Nikos war das keine Option.
Ein Bekannter hilft ihm beim Ankommen in Frankfurt
Die Ankunft in Deutschland war schwierig. Verwandte aus Griechenland, die in Stuttgart leben, wollten Nikos nicht helfen. Es gäbe zu wenig Jobs, sagten sie ihm, für den jungen Griechen ist das eine Lüge. Doch er bekam Hilfe: Ein Bekannter aus Griechenland, der an der Frankfurter Goethe-Universität unterrichtet, hat ihm ein kleines Zimmer in Frankfurt vermittelt. Das war der erste Schritt, um in der neuen, unbekannten Stadt anzukommen. „Ich habe mich auf dieses Abenteuer eingelassen, erst in einem Restaurant in Worms gearbeitet, dann in Frankfurt bei einem Lieferdienst und dann in einem Schnellrestaurant“, berichtet Nikos. Damit er als Grundschullehrer arbeiten darf, muss er die deutsche Sprache beherrschen und sein Studium anerkannt bekommen. Das braucht Zeit. Mittlerweile ist Nikos Referendar an einer Frankfurter Grundschule.
Beratungsstelle am Weißen Stein hilft Griechen in Frankfurt Fuß zu fassen
Durch die griechische Community und der griechischen Kirche in Frankfurt hat das junge Paar von dem Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie am Weißen Stein erfahren. Dort gibt es, seit Oktober 2012, zweimal pro Woche eine offene Sprechstunde; extra für griechische Neuzuwanderer. „Frau Rita“ hilft dem Paar bis heute. „In Griechenland ist es normal, Menschen mit dem Vornamen anzusprechen“, sagt die Frau mit den rötlichen Haaren und lacht. Mit vollem Namen heißt die Beraterin Rita Lehmann-Kynast. Sie ist Rentnerin, wurde aber wieder in den Dienst zurückgeholt, um griechischen Neuankömmlingen den Start in Frankfurt zu erleichtern. Sie hat 26 Jahre in der Migrantenarbeit gearbeitet und spricht fließend griechisch. In der Regel kommen Klienten wegen „Interesse an Sprachkursen, Probleme mit Formularen, Arbeits- und Wohnungssuche, Ausbildung und finanziellen Gegebenheiten“, erläutert sie. Das größte Problem sei, eine Wohnung in Frankfurt zu finden. Die meisten, die ihre Beratung in Anspruch nehmen, schaffen es, richtig anzukommen, „aber es gibt Klienten, da weiß ich von Anfang an, das wird nichts: Alter 50plus, ungelernt, alleinstehend – und wenn sie dann noch aus einem ländlichen Gebiet kommen, wird das in Frankfurt nichts“, betont sie. Doch über die Fortschritte von Nikos und Sosana ist sie begeistert: „Und das alles in nur drei Jahren“. Momentan gibt es laut Lehmann-Kynast einen Trend: „Griechische Busfahrer kommen gerade vermehrt, das ist der absolute Renner.“
Familie und Freunde können die Auswanderung nicht verstehen
„Mein Vater war ärgerlich darüber, dass ich mein Land verlasse. Das war eine persönliche Wette. Ich wollte ihm beweisen, dass ich es in einem anderen Land schaffen kann“, sagt Nikos mit Nachdruck. Sein Vater war sicher, dass er zurückkommen würde. Sosana und Nikos sind die einzigen aus Familie und Freundeskreis, die nach Deutschland gekommen sind. Viele Freunde sehen die Notwendigkeit nicht, auch Sosanas Eltern waren von der Idee anfangs nicht begeistert, „sie wollten mich nicht verlieren“. Aber Sosana hat Mutter und Vater erklärt, dass es ja auch Flugzeuge gäbe, die in 2,5 Stunden von Griechenland nach Frankfurt fliegen würden. Weil die Eltern in Rente sind, kommen sie häufig. Momentan sind sie zu Besuch und passen gerne auf ihre zwei Enkel auf.
„Die Griechen betrachten den Sparkurs als zukünftige Sklaverei“
„Die Griechen betrachten die deutschen Politiker als Teufel und den Sparkurs als zukünftige Sklaverei“, berichtet Nikos über seine Eindrücke aus Griechenland. Er ist der Meinung, dass die Reformen schon vor zehn Jahren hätten angewendet werden sollen. Jetzt sei es zu spät. Eine effektive Lösung sieht er nicht, außer die Privatisierung mehr zu beherzigen, damit das Wachstum auch in Zukunft erfolgreich sein kann. Nikos betont: „Nur das Wachstum, keine Kredite.“ Für ihn wäre ein Schuldenschnitt ein Großteil der Lösung.
Nikos hat es geschafft: Er ist Referendar an einer Grundschule
Bislang habe es im Lehramts-Referendariat noch keine Probleme gegeben, „ich fahre auf eingefahrenen Gleisen“, ergänzt Nikos. Er mag das deutsche Grundschulsystem, weil es nicht so frontal sei wie in Griechenland. Das junge Pärchen hat zwei kleine Kinder, deshalb ist Sosana erstmal mit ihrer Aufgabe als zweifache Mutter beschäftigt. Auf dem Spielplatz lernt sie andere Frauen kennen, vor allem aber unterhält sie sich mit Müttern, die einen Migrationshintergrund haben. „Ich habe deutsche Frauen kennengelernt, sie sind sehr nett, aber ich glaube, dass sie mich nicht akzeptieren, weil ich nicht so gut deutsch spreche, aber das ist mein Problem“, sie betont, dass es nicht an den deutschen Frauen, sondern an ihrer Unsicherheit liege.
Später möchte Sosana auch wieder arbeiten „vielleicht nicht direkt als Lehrerin, aber etwas anderes mit Pädagogik“, sagt sie bestimmt. Auf die Nachfrage, wo Sosana aufgewachsen sei, lacht das Pärchen: „Ich komme aus ‚Drama‘“, wie passend zu der aktuellen politischen Situation.
Das Evangelische Zentrum für Beratung und Therapie am Weißen Stein bietet Sprechstunden für griechische Neuzuwanderer an. Die Sprechstunden finden montags zwischen 10 und 12 Uhr und donnerstags zwischen 15 und 16 Uhr statt.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Adresse: Eschersheimer Landstraße 567, 60431 Frankfurt am Main.
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