1968
Der Terror der RAF
Bildquelle: © iStockphoto, fermateNoch während der Löscharbeiten feiern Baader und Ensslin in einem nahe gelegenen linken Szenelokal und lassen öffentlich Anspielungen fallen (Symbolbild)15.03.2018 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Nils Sandrisser, Evangelische Sonntags-Zeitung
Als der Rauch ihres ersten Anschlags aus den Frankfurter Warenhäusern quillt, feiern Andreas Baader und Gudrun Ensslin nicht weit entfernt. Ihren Prozess funktionieren sie zur politischen Agitation um. Die beiden verrennen sich immer mehr in den Terror.
Es ist bald 18.30 Uhr. Der Ladenschluss im Kaufhaus Schneider auf der Einkaufsstraße Zeil in Frankfurt am Main am 2. April 1968 steht kurz bevor. Da betreten noch zwei junge Kunden das Geschäft. Sie eilen die Treppen hinauf. In der Abteilung für Damenoberbekleidung verstecken sie einen Brandsatz aus Benzin in einer Plastikflasche mit Reisewecker und Taschenlampenbatterie. Einen weiteren deponieren sie in der Möbelabteilung.
Kurz vor Mitternacht klingelt das Telefon bei einer Nachrichtenagentur. „Gleich brennt’s bei Schneider und im Kaufhof”, sagt eine Frauenstimme. „Es ist ein politischer Racheakt.” Unmittelbar darauf geht ein Notruf bei der Feuerwehr ein, er meldet Flammen im Kaufhaus Schneider. Auch im nahe gelegenen Kaufhof brennt es, hier bricht das Feuer in der Betten- und in der Spielwarenabteilung aus.
Die Brandstifter prahlen anschließend mit ihrer Tat
Die Feuerwehr erstickt die Flammen schnell, Menschen werden nicht verletzt. Im beiden Häusern entsteht ein Schaden von gut 670 000 Mark – der größte Teil davon allerdings durch Löschwasser. Schon zwei Tage danach nimmt die Polizei die Täter fest. Sie heißen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein. Die Beamten kommen auch deswegen so schnell auf ihre Spur, weil die vier sich ausgesprochen täppisch verhalten. Noch während der Löscharbeiten feiern Baader und Ensslin in einem nahe gelegenen linken Szenelokal und lassen öffentlich Anspielungen fallen, die auf sie als Täter hindeuten.
Die Terroristen
Baader ist ein unsteter Charakter. Seit seiner Jugend hat er Probleme mit Autoritäten, fliegt von der Schule, klaut Motorräder und Autos. Der gebürtige Münchner taucht 1967 im Umfeld der linken Wohngemeinschaft Kommune I in West-Berlin auf, wo er und Ensslin ein Paar werden. Die Tochter eines schwäbischen Pfarrers ist bereits ideologisch gefestigte Marxistin. Proll ist Kunststudent und mit den beiden befreundet, während Baader den Theatermacher Söhnlein aus Münchner Tagen kennt.
Suche nach Beweggründen
Die Idee mit der Kaufhaus-Brandstiftung nehmen die vier nicht aus dem luftleeren Raum. Am 22. Juni 1967 hatte in Brüssel das Warenhaus „À l’Innovation” gebrannt, mehr als 300 Menschen waren dabei umgekommen. Die Kommune I verbreitete anschließend ein makabres Flugblatt mit dem Titel „Warum brennst du, Konsument?”. Darin hieß es, der Brand vermittle den Menschen in Europa „jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen)”. Der Vietnamkrieg ruft in dieser Zeit bei den „68ern”, der „Außerparlamentarischen Opposition” (APO) der linken Szene, massiv Protest hervor.
Ob Vietnam aber auch für Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein das entscheidende Motiv ist, lässt sich nicht genau sagen. Ursprünglich sollte die Tat für sich selbst stehen. „Es gab keinen Bekennerbrief”, sagt der Göttinger Historiker Florian Jessensky. „Vor Gericht haben sie sich zwar darauf berufen. Neben diesen ideologischen Motiven spielte aber mit Sicherheit auch die Konkurrenzsituation in der Berliner Szene rund um die Kommune I eine Rolle. Hier wetteiferten mehrere Gruppen um die Frage, wer den Worten der Flugblätter nun die härteste Tat folgen lassen würde.” Möglicherweise also ist Vietnam für die vier nur ein Feigenblatt – aber das ist Spekulation.
Der Prozess gegen die Brandstifter beginnt am 14. Oktober 1968. Zu ihren Verteidigern gehören der später ebenfalls als Linksterrorist und noch später als Holocaustleugner verurteilte Horst Mahler und der spätere SPD-Bundesinnenminister Otto Schily. Die vier Angeklagten feixen während der Verhandlung, sitzen mit Zigarren auf der Anklagebank.
Massen ließen sich nicht anstiften
Zumindest Ensslin folgt damit nach den Worten des Regensburger Politologen Alexander Straßner einer Strategie, obwohl hauptsächlich die drei Männer pöbeln. Die öffentliche Aufmerksamkeit solle die Massen dazu bewegen, es den vier gleichzutun und sich zu erheben. Allerdings gibt es diese Massen nicht. „Ein harter Kern, der gewaltsamen Mitteln das Wort redete, kann mit wenigen Hundert beziffert werden, eine weitaus größere Zahl an Menschen war aber zur logistischen Unterstützung bereit, zumindest wenige Tausend”, schätzt Straßner. Bei Baader hingegen ist die Motivation wohl simpler: Für ihn ist das „nur einmal mehr eine Gelegenheit zum Krawall”.
„Man wollte keinen Respekt vor dem Gericht zeigen”, erläutert Jessensky. „Die Justiz war ja der große Feind der APO, sie galt als Instrument der Klassenherrschaft.” Der Justiz ist solch ein Auftreten tatsächlich nicht neu, sie kennt es schon aus Prozessen gegen Bewohner der Kommune I.
Ensslin und Baader tauchen unter, Proll und Söhnlein treten ihre Haft an
Das Urteil fällt am 31. Oktober: jeweils drei Jahre Haft auch für Proll und Söhnlein, obwohl Zeugen sie nicht eindeutig erkannt haben. Schon am 13. Juni 1969 kommen die Brandstifter aber wieder vorerst frei, weil im November der Bundesgerichtshof über die Revision der Urteile entscheiden soll. Der ehemalige „Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust beschreibt in seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex”, wie die vier sich aus Freude über ihre Entlassung erst einmal einen Schuss Heroin setzen und dabei prompt Hepatitis bekommen.
Die Revision wird abgelehnt. Söhnlein tritt seine Haft an, Baader, Ensslin und Proll tauchen unter. Proll stellt sich später. Er und Söhnlein haben nach Verbüßung ihrer Strafe nie wieder etwas mit Terrorismus zu tun. Baader und Ensslin dagegen bereiten sich auf den bewaffneten Kampf vor und sammeln Mitstreiter. Als die Journalistin Ulrike Meinhof zur Gruppe um Baader und Ensslin stößt, wird diese als „Baader-Meinhof-Bande” bekannt. Anfang 1971 gibt sich die Gruppe den Namen „Rote-Armee-Fraktion” – RAF.
Drei Generationen RAF
Nachdem fast alle Mitglieder der RAF in Haft waren, bildet sich um Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt eine „zweite Generation” der Terrorgruppe. Ihr Hauptzweck ist zunächst, die Mitglieder der „ersten Generation” aus der Haft freizupressen. RAF-Terroristen ermorden 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Auch nachdem sich Baader, Ensslin und Raspe in der Haft selbst getötet haben, mordet die Gruppe weiter. Bis Anfang der 1980er Jahre zerschlagen die Sicherheitsbehörden deren Infrastruktur und verhaften die meisten ihrer Mitglieder.
Um Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld bildet sich eine „dritte Generation”. Sie ermordet beispielsweise den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und den Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlef Karsten Rohwedder. Ihren letzten Anschlag verübt die RAF im März 1993, eine Sprengstoffattacke gegen das leere, neu gebaute Gefängnis in Weiterstadt. Drei Monate später stellt die Polizei Grams und Hogefeld am Bahnhof des mecklenburgischen Bad Kleinen. Bei einer Schießerei kommt Grams um, Hogefeld wird verhaftet.
Im Lauf ihrer Geschichte ermordet die RAF 33 Menschen. 27 ihrer Mitglieder und Sympathisanten kommen ums Leben, außerdem fünf unbeteiligte Menschen. Im Jahr 1998 gibt die Gruppe ihre Selbstauflösung bekannt. Die ehemaligen RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg sind nach wie vor im Untergrund – vermutlich begehen sie nach wie vor Raubüberfälle. [nis]
Bomben von links
Neben der RAF bilden sich aus dem linken Milieu der späten 1960er Jahre mehrere andere Terrorgruppen. Die Bewegung 2. Juni nimmt in ihrem Namen Bezug auf den Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 unter mysteriösen Umständen durch eine Polizeikugel starb. Die Gruppe verübt Sprengstoffanschläge, überfällt Banken und entführt Personen des öffentlichen Lebens. Am 2. Juni 1980 erklärt sie ihre Auflösung. Einige ihrer Mitglieder schließen sich der RAF an.
Die Tupamaros haben ihren Namen von Guerrilleros in Uruguay. Ableger gibt es in West-Berlin und in München. Die Mitglieder dieser Gruppen verüben Brand- und Bombenanschläge. Bereits 1970 lösen die Tupamaros sich wieder auf.
Die Revolutionären Zellen begehen ab 1973 bis in die 1990er Jahre hinein Anschläge. Zwei ihrer Mitglieder, Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, sind im Juli 1976 an der Entführung eines Air-France-Airbus von Tel Aviv nach Entebbe in Uganda beteiligt. Die pro-palästinensische Operation soll den Staat Israel treffen. Die Tat löst grundlegende Diskussionen unter den deutschen Linken sowie deren Verhältnis zu Israel und zur Gewalt aus – vor allem, weil Böse und Kuhlmann mit vorgehaltener Waffe jüdische Passagiere des Airbus selektiert haben sollen, unter ihnen auch Überlebende des Holocaust. Unter anderen Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer (beide Grüne) brechen daraufhin mit der radikalen Linken.
Noch weitgehend im Dunkeln liegt die Rolle der Nachrichtendienste. Peter Urbach etwa, der V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes, beliefert die Bewegung 2. Juni und die Tupamaros mit Sprengstoff und teilweise mit fertigen Bomben. [nis]
Der Weg in den Terror
Nachdem Andreas Baader und Gudrun Ensslin untergetaucht sind, sammeln sie Gleichgesinnte um sich und versuchen, sich Waffen zu besorgen. Aber Baader wendet sich dazu ausgerechnet an Peter Urbach, einen V-Mann des Verfassungsschutzes, und wird am 4. April 1970 festgenommen. Die Journalistin Ulrike Meinhof, die schon länger zum Dunstkreis der Gruppe gehört, lässt Baader am zehn Tage später von zwei Beamten in eine Bibliothek in West-Berlin bringen – angeblich, um mit ihm an einem Buch zu arbeiten. Es tauchen bewaffnete Befreier auf und schießen um sich, Baader und Meinhof springen aus einem Fenster und fliehen.
In der Öffentlichkeit heißt die Gruppe nun „Baader-Meinhof-Bande”. Anders, als dieser Name vermuten lässt, spielt Meinhof nur eine Nebenrolle. Unangefochtene Chefs sind Baader und Ensslin. Baader ist für seine cholerischen Ausbrüche berüchtigt.
Zunächst verschwinden die Terroristen nach Jordanien, wo sie sich in einem palästinensischen Camp an der Waffe ausbilden lassen. Im September 1970 sind sie zurück in West-Berlin, stehlen Autos, überfallen Banken und brechen in Ämter ein, um Blanko-Ausweise zu stehlen. Anfang 1971 gibt sich die Gruppe den Namen „Rote-Armee-Fraktion” (RAF). In einer Allensbach-Umfrage äußert ein Viertel der Westdeutschen unter 30 Jahren Sympathie für die RAF.
Erstes Todesopfer des Terrors ist eine Terroristin. Petra Schelm stirbt am 15. Juli 1971 nach einer Schießerei mit Polizisten in Hamburg. Ebenfalls nach einem Schusswechsel stirbt am 22. Oktober 1971 der Polizist Norbert Schmid, vermutlich ist der Schütze Gerhard Müller. Im Jahr 1972 folgen mehrere Bombenanschläge, unter anderem auf Einrichtungen der US-Armee in Frankfurt und Heidelberg sowie auf den Sitz des Springer-Verlags in Hamburg. Dabei sterben insgesamt vier Menschen. Die Polizei verstärkt daraufhin den Fahndungsdruck erheblich – mit Erfolg: Ende 1972 sind alle maßgeblichen Mitglieder der RAF in Haft.
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