Essay über Verfügbarkeit
Die Kunst, mit dem beschleunigten Leben gut umzugehen
martin-dm/istockphotoDie Kommunikation beschleunigt sich und das Leben wir schneller08.03.2017 hag Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Als es die DDR noch gab, musste man dort zehn Jahre und länger auf ein Auto warten. Der Schwarzhandel blühte und Wolf Biermann sang: „Warte nicht auf bessere Zeiten.“ Das ist alles Vergangenheit. Autos werden zwar nach wie vor meist auf Bestellung gebaut, aber wenn dann, wie kürzlich bei VW, die Klappe für die Handschuhfächer fehlen, weil ein Werk in Tschechien abgebrannt ist, dann warten plötzlich 20.000 halbfertige Autos auf riesigen Parkplätzen. Und die Käufer warten auf ihre Autos.
Der neue Berline Flughafen wird so teuer, weil er nicht fertig wird. Warten kostet Geld. Weil ein Gewerk am anderen hängt, gibt eine Firma der anderen ihre Kosten weiter. Der Gelddruck treibt die Geschwindigkeit an. Bei Dienstleistungen ist das nicht anders. Abgesehen von Autos und Maschinen wird alles ungefragt vorab geliefert – sozusagen auf Hoffnung. Beispiel Weihnachtsgeschäft: Wer die Lebkuchen als erster liefert, hat den größten Handelsgewinn. Und wer ab 15. September, wenn das Weihnachtsgeschäft startet, nicht mitbietet, geht leer aus.
Auch für das Warten gibt es Regeln
Warten bedeutet nicht einfach, dass etwas zu lange dauert. Sondern wer wartet, ist verabredet. Im täglichen Leben gibt es dafür Regeln wie diese, dass man zu Einladungen nicht auf die Minute pünktlich an der Tür klingelt – mit Rücksicht auf die Gastgeber, die vermutlich auch noch nicht ganz fertig sind. Akademiker beanspruchen eine Viertelstunde später zu kommen, aber wehe dem jungen Mann, der nicht pünktlich zum Vorstellungsgespräch erscheint. Der geht dann leer aus. Oder er hat Glück, weil er der einzige gute Bewerber ist.
Die Geduld ist eine uralte Tugend
Dass alle Lebensmittel immer sofort verfügbar sind, ist eine Ausnahme unserer Zeit - in den westlichen und aufstrebenden Ländern der Erde. Die Menschheit hat fast zu jeder Zeit mehr oder weniger gehungert. Lebensmittel waren meistens knapp. Lange hat man auf die Ernte warten müssen. Heute sind Lebensmittel verfügbar, und zwar schnell. Auch Erdbeeren im Dezember. Das verändert die Einstellung zum eigenen Leben und zu den eigenen Ansprüchen und Möglichkeiten.
Das Leben ist sehr schnell geworden. In früheren Zeiten veränderten sich die Lebensverhältnisse nur durch Naturkatastrophen oder Kriege. Der junge Bauer hat genauso gewirtschaftet, wie er es bei seinem Großvater gesehen hatte. Der Pflug blieb über Jahrhunderte derselbe. Die Heilmittel blieben lange die gleichen und ebenso eintönig war der tägliche Speiseplan. Man starb meist in den gleichen Verhältnissen, in denen man geboren worden war.
Mit dem beschleunigten Leben gut umgehen
Erst in der Neuzeit, also irgendwann nach Martin Luthers Zeiten, hat sich das Leben beschleunigt. Anstoß waren die Entdeckung der Welt, neues Wissen und die ersten Maschinen. Wenn es keine riesige Katastrophe gibt, wird sich die Entwicklung weiter beschleunigen. Noch mehr Dinge werden noch schneller verfügbar sein.
Und die Menschen erleben die Lust an der Geschwindigkeit, sie leiden aber zugleich am Druck der schnellen Kommunikation. Mensch und Maschine werden immer enger verflochten. Das ist der Zug der Zeit. Die Entwicklung zeigt in diese Richtung.
Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“
Weil aber Menschen keine Maschinen sind, werden sie weiterhin zu spät kommen und werden Entscheidungen treffen, die manches verzögern. „Just in Time“ sind nur technische Systeme. Wenn diese gut sind, planen sie die Fehlbarkeit des Menschen mit. Damit Menschen immer wieder zu ihrer eigenen Geschwindigkeit zurückfinden, ruft die Aktion „7 Woche ohne“ dazu auf, für eine Weile aus dem Erledigungsdruck auszusteigen. Das verändert nicht die Welt, aber es verändert einen selbst. Initiator Arndt Brummer sagt zur diesjährigen Fastenaktion: „Wir sind durch die virtuelle Welt längst dabei, sofort immer alles zu erledigen… und wir sagen: nehm‘ mal den Gang raus und guck mal wie du mit den anderen umgehst.“
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