Sackgasse Griechenland
Flüchtlinge auf Lesbos hinter Gittern
Heidi Förster26.09.2017 hf Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Ein Jahr nach dem Europa-Türkei-Deal sitzen mehr als 60.000 Menschen in Griechenland, Serbien und anderen Ländern der Balkanroute fest. Geflüchtete leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in provisorischen und unsicheren Lagern. Psychische Probleme und die Gewalt an den Grenzen nehmen dramatisch zu.
Die engagierte Pfarrerin war als Urlauberin einmal fasziniert von der kleinen Insel Lesbos in der Ost-Ägäis nahe der türkischen Grenze mit 90.000 Einwohnern, deren Haupt-Wirtschaftsfaktor Oliven und der Tourismus sind. Heute ist die kleine Insel Zuflucht tausender Flüchtlinge.
Im September 2015 erreichten 24.000 Flüchtlinge auf einfachen Schlauchbooten die Insel. Dort angekommen mussten sie 65 Kilometer zu Fuß zur Hauptstadt zurücklegen und fanden keinerlei Infrastruktur vor, campierten auf einem Freigelände in einfachsten Zelten mit sechs Duschen und zwölf Klohäuschen.
Ein Jahr später, 2016, besuchte die Friedenspfarrerin die Insel erneut. Inzwischen waren Hütten mit Strom errichtet worden. „Hilfsorganisationen kamen und versuchten ein stückweit eine würdige Unterkunft zu geben.“ Zur Registrierung gab es jedoch keinerlei geordnete Strukturen. Ein Mal pro Tag sei die Polizei gekommen, habe sich auf eine Anhöhe gestellt und eine Liste von Namen vorgelesen. Die wenigsten der zu tausenden versammelten und hoffnungsvoll wartenden Flüchtlinge seien registriert worden oder hätten eine Anhörung bekommen.
EU-Abkommen mit der Türkei
Am 18. März 2017 hatten sich die Regierungschefs der EU auf ein Abkommen mit der Türkei geeinigt. Flüchtlinge ohne gültigen Aufenthaltstitel sollten in die Türkei zurückgebracht werden und jeder Flüchtling sollte nach diesem Abkommen die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag zu stellen. Dabei sollten alle völker- und europarechtlichen Standards eingehalten werden. Im Gegenzug für jeden zurückgeschickten Flüchtling haben sich die EU-Länder verpflichtet, einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen, insgesamt bis zu 72.000.
Soweit die Theorie. „Wer heute auf die Insel kommt, wird erst einmal vier Wochen hinter Gitter gebracht. Im Lager hinter hohen Stacheldrahtzäunen, ausgelegt für 1200 Menschen, werden bis zu 4000 Geflüchtete eingesperrt“, weiß die Friedenspfarrerin.
Helfer vor Ort beschreiben, dass Flüchtlinge nach Dikilli in der Türkei zurückgebracht werden, nahe der syrischen Grenze, abgeschirmt von jeder Öffentlichkeit ohne Zugang zu Anwälten. Afghanen kämen in ein Lager nahe der bulgarischen Grenze und würden sukzessive über den Istanbuler Flughafen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
„Sackgasse Griechenland“ – das ist das erschütternde Fazit der aussichtslosen Situation für 60.000 Menschen, die in Griechenland ohne Asylverfahren in hoffnungslos überfüllten Lagern festsitzen.
Am Ende dieses erschütternden Vortrags waren die Teilnehmenden der Veranstaltung im Rahmen der Interkulturellen Wochen Groß-Gerau 2017 an diesem Abend sprachlos. Da das Elend weit von uns entfernt ist, sind Augenzeugenberichte wie diese wichtig, um die menschenunwürdigen Bedingungen öffentlich anzuprangern und eine gemeinsame europäische Lösung einzufordern, wie dies auch der Kirchenpräsident der EKHN Volker Jung nach seinem Besuch in Idomeni im April 2016 gefordert hat.
Die EKHN fördert heute eine Kreativstube und eine Nähwerkstadt für Griechen und Geflüchtete vor Ort. Dabei werden aus den Rettungswesten, die nach der Bootsüberfahrt tausendfach auf dem Müll landen, Taschen und aus den Decken der Lager Westen genäht. Auch ein Café wird gerade eingerichtet. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, weiß Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf, „aber Menschen brauchen einen schönen Ort gegen die Barbarei.“
Heidi Förster Öffentlichkeitsarbeit
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