Weltflüchtlingstag
„Flüchtlinge müssen mit ihren Familien zusammen sein“
Anton Chalakov/istockphoto.comFlüchtlingskrise17.06.2016 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Frankfurt/Darmstadt/Kassel, 17. Juni 2016. „Der Grundsatz der Einheit der Familie und das Recht auf Familiennachzug haben für Diakonie und Kirche eine herausragende Bedeutung. Umso mehr besorgt es uns, dass dieses Recht zunehmend ausgehöhlt wird“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Pfarrer Horst Rühl, anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni. Unisono weist die Diakonie mit den beiden evangelischen Kirchen in Hessen darauf hin, dass es hier um ein „Grundrecht“ gehe: „Wer als Flüchtling anerkannt ist, hat das Recht, seine Familie auf eigene Kosten nachzuholen“, betonen der Vorstandsvorsitzende der Diakonie in Hessen, Horst Rühl, der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Volker Jung, und der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Dr. Martin Hein, gemeinsam. Diakonische und kirchliche Beratungsstellen sehen sich zunehmend verzweifelten Menschen gegenüber, „die große Angst um ihre Angehörigen haben und angesichts immer neuer Hürden beim Familiennachzug den Mut verlieren. Wir sprechen hier von einem Grundrecht “, sagt Horst Rühl.
Oft dauert Familen-Zusammenführung Jahre
Für Flüchtlinge wird es zunehmend schwerer, ihre Familie nachzuholen. Kirchenpräsident Dr. Volker Jung sagt dazu: „Oft dauert es viele Monate, bis überhaupt ein Asylantrag von der Behörde angenommen wird, ganz zu schweigen von der weiteren Bearbeitungsdauer. Dass Familien deswegen über Monate und nicht selten über Jahre hinweg getrennt bleiben, ist menschlich eine Katastrophe und behindert die Integration. Flüchtlinge müssen mit ihren Familien zusammen sein können.“ Manchen nütze aber bei der Familienzusammenführung noch nicht einmal die Anerkennung als Flüchtling. Tausende Schutzsuchende, die in Deutschland Familienangehörige haben, seien in Griechenland gestrandet, so der Kirchenpräsident.
Unbürokratische Verfahren für Familien gefordert
Bischof Dr. Martin Hein erinnert zudem daran, dass sich Deutschland im vergangenen Jahr verpflichtet hat, insgesamt 27.500 solcher Flüchtlinge aus Griechenland und Italien im Rahmen eines europäischen Umsiedlungsverfahrens aufzunehmen. „Dass davon gerade mal 57 Personen tatsächlich angekommen sind, ist skandalös. Deutschland kann und muss jetzt schnell und unbürokratisch Transitflüchtlinge aus Griechenland aufnehmen“, so der Bischof.
Aktuelle Anerkennungspraxis in Deutschland trennt
Der Diakonie-Vorstandsvorsitzende weist darauf hin, dass durch eine veränderte Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge derzeit ein weiteres Hindernis für den Familiennachzug errichtet werde. Seien im letzten Jahr noch nahezu 100 Prozent aller schutzsuchenden Syrer als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, so ändere sich dies seit April dieses Jahres. Immer öfter erhalten nun syrische Flüchtlinge nur noch einen eingeschränkten Schutzstatus, den sogenannten subsidiären Schutz, der nach neuer Rechtslage den Familiennachzug für zwei Jahre unmöglich macht.
Auslandsvertretungen Deutschlands helfen nur unzureichend
Erhebliche Probleme stellt die Diakonie Hessen zudem bei den deutschen Auslandsvertretungen fest, bei denen Familienangehörige ein Visum beantragen müssen. Rühl: „Die Bearbeitung der Visumsanträge erfolgt sehr schleppend und nur bei wenigen Auslandsvertretungen, die für die Betroffenen oft schwer erreichbar sind.“ Bei den deutschen Botschaften in der Türkei, in Jordanien und im Libanon warteten Familienangehörige viele Monate, nicht selten auch mehr als ein Jahr auf einen Termin. In letzter Zeit bekämen Betroffene und Mitarbeitende in diakonischen Beratungsstellen nicht einmal mehr eine Antwort, wenn sie nach einem Termin fragen. „Diese Hürden für den Familiennachzug müssen dringend beseitigt werden. Das Recht auf Familiennachzug darf nicht nur auf dem Papier stehen, es muss auch wahrgenommen werden können“, so Rühl abschließend.
Hürden für den Familiennachzug
Beispiele aus der Praxis diakonischer Beratungsstellen
In der Warteschleife beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Herr H. ist im November 2015 nach Deutschland eingereist und hat damals den Wunsch geäußert, Asyl zu beantragen. Er hat seine kleine Tochter Nedal bei sich, die gerade drei Jahre alt geworden ist. Sie hat noch fünf weitere Geschwister, die allerdings zusammen mit der Mutter in der Türkei auf eine Gelegenheit warten, nach Deutschland nachzukommen. Wann das sein wird, ist völlig unklar. Nach sieben Monaten ist der Asylantrag des Herrn H. von der Behörde noch nicht einmal angenommen worden. Für die Familie gibt es damit bis auf Weiteres keine legale Möglichkeit zusammenzukommen. Das war einmal ihr Plan: Nicht alle Familienmitglieder sollten die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer riskieren müssen, sondern legal mit dem Flugzeug nachkommen können. Vor allem für die hochschwangere Frau wäre die Flucht sehr gefährlich gewesen. Außerdem hätte das Geld nicht gereicht, um für alle die Überfahrt zu bezahlen. Für die dreijährige Nedal ist die Trennung von Mutter und Geschwistern schwer zu ertragen. Sie hat nach den Erfahrungen große Verlustängste und lässt ihren Vater keinen Moment alleine, immer in Sorge, dass auch er noch verschwinden könnte. Für den Vater ist die Situation sehr belastend. Sie wohnen in einem großen Heim, in dem hauptsächlich Männer untergebracht sind. Für kleine Mädchen wie Nedal ist das keine geeignete Umgebung.
Gestrandet in Idomeni
Manchen nutzt nicht einmal die Anerkennung als Flüchtling, um ihre Familie in die Arme schließen zu können. So geht es Herrn A. er ist als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt und hat damit das Recht, seine Familie nachziehen zu lassen. Seine Frau und die beiden Söhne, 18 und 19 Jahre alt, harrten lange im Lager von Idomeni aus, in der Hoffnung, dass sich die Grenze öffnet und sie zu Mann und Vater weiterreisen können. Nach der Räumung von Idomeni wurden sie in ein anderes Flüchtlingscamp gebracht. Mutter und Söhne müssten Zugang zum griechischen Asylverfahren bekommen, um ihr Recht auf Familienzusammenführung wahrnehmen zu können. Die Chancen dafür stehen für die große Mehrheit der Flüchtlinge in Griechenland allerdings sehr schlecht. Aber selbst wenn es ihnen gelingen würde, könnte nur die Mutter nach Deutschland reisen, nicht aber die beiden volljährigen Kinder. Sie hätten eine gute Chance, wenn Deutschland seiner Zusage nachkäme, insgesamt 27.500 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien im Rahmen eines europäischen Umsiedlungsverfahrens aufzunehmen. Davon sind bis Juni aber gerade mal 57 tatsächlich angekommen, 20 aus Italien und 37 aus Griechenland.
Krebskrank und von der Familie auf Dauer getrennt
Herr A. aus Syrien ist im Januar 2016 nach Deutschland gekommen. Er benötigte dringend eine Krebsbehandlung, die er im Flüchtlingslager in der Türkei nicht bekommen konnte. Seine Familie, die 35-jährige Ehefrau sowie fünf Kinder zwischen sechs und 16 Jahren leben noch immer dort. Im März 2016 wurde Herrn A. lediglich subsidiärer Schutz zugesprochen. Damit kann er seine Familie bis auf Weiteres nicht zu sich holen. Wegen seiner schweren Erkrankung wurde ihm im April 2016 ein Betreuer gestellt. Seine eigene Familie könnte ihn sicher besser unterstützen und ermutigen. Frau und Kinder sitzen aber nun auf unabsehbare Zeit und unzureichend versorgt weiter im türkischen Lager fest.
Kein Termin, kein Visum
Am 23.2.2016 schickt eine Flüchtlingsberatungsstelle der Diakonie Hessen im Auftrag eines syrischen Klienten eine Mail an das Auswärtige Amt mit der Bitte um Terminvergabe bei der Deutschen Botschaft Beirut. Der syrische Familienvater möchte die Familienzusammenführung für seine Frau und seine vier kleinen Kinder zwischen drei und sechs Jahren beantragen und ist sehr verzweifelt, weil seine Familie in Hama (Syrien) in großer Unsicherheit lebt. Im Januar 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, seitdem bemüht er sich um einen Termin. Bis heute wurde ihm keiner genannt. Die Flüchtlingsberatungsstelle hat seit Anfang 2016 insgesamt sechs solcher Terminanfragen verschickt. In keinem Fall ist es gelungen, einen Termin zu bekommen. Mehrere schriftliche Nachfragen beim Auswärtigen Amt zur Dauer der Terminvergabe blieben unbeantwortet.
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