Weltflüchtlingstag: Kirche und Diakonie
Flüchtlingsaufnahme als Generationenaufgabe begreifen
Charlotte MattesUntergekommen in Frankfurt: Flüchtling Oliver19.06.2015 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Frankfurt / Darmstadt / Kassel, 19. Juni 2015. Anlässlich des Internationalen Tages des Flüchtlings am Samstag (20. Juni) appellieren die Evangelischen Kirchen in Hessen und die Diakonie Hessen an Bund und Länder, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und sie von Anfang an besser zu integrieren. Sie sehen in der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zudem eine „Generationenaufgabe“ und versichern, dass sich die Evangelischen Kirchen und die Diakonie weiterhin und verstärkt dafür engagieren werden.
In Griechenland droht humanitäre Katastrophe
Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Volker Jung, hat sich außerordentlich besorgt über die Lage der Flüchtlinge in den europäischen Erstaufnahmeländern gezeigt. Vor allem in Griechenland, wo seit Jahresbeginn rund 50.000 Flüchtlinge angekommen seien und es kein Aufnahme- und Schutzsystem für Flüchtlinge gebe, spitze sich die Lage dramatisch zu. „In Griechenland droht eine humanitäre Katastrophe“, warnt Jung und appelliert an die europäischen Staaten, umgehend humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten und Flüchtlinge in andere europäische Länder weiterreisen zu lassen, insbesondere, wenn sie dort Verwandte haben. „Gerade im wirtschaftsstarken Deutschland können und sollten wir mehr dieser Flüchtlinge aufnehmen“, so Jung.
Zufluchtsland frei wählen lassen
Kritisch sieht der Kirchenpräsident die aktuelle Debatte, Flüchtlinge nach Quoten auf die EU-Staaten zu verteilen. „Das ist realitätsfern und lebensfremd, weil es die berechtigten Interessen der Schutzsuchenden nicht berücksichtigt“, gibt Jung zu bedenken. Flüchtlinge suchten nach familiären, sprachlichen und kulturellen Anknüpfungspunkten, gerade das fördere ihre Integration. „Die Menschen sollten selbst entscheiden dürfen, wo sie ihren Asylantrag stellen. Länder, die überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufnehmen, könnten mithilfe eines Europäischen Ausgleichsfonds finanziell unterstützt werden. Und Personen, die in einem EU-Staat als schutzbedürftig anerkannt wurden, sollte Freizügigkeit in der EU gewährt werden“, schlägt Jung vor.
Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge verstärken
Die besondere Verantwortung von Bund und Ländern für die Aufnahme von Flüchtlingen betont auch der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Dr. Martin Hein. „Der Bund sollte das Aufnahmekontingent für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge großzügig erweitern und ein weiteres für irakische Flüchtlinge schaffen. Und die Bundesländer müssen ihre eigenen Aufnahmeprogramme unbedingt weiterführen“, appelliert Hein. Angesichts der gegenwärtigen Kriege und Krisenherde sei die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen eine größer werdende „Dauerherausforderung“. Wer sich die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge anschaue, wisse, dass die Flüchtlingszahlen weiter steigen werden und nur die wenigsten zurückkehren können.
Willkommenskultur mit Willkommensstrukturen unterstützen
„Die Flüchtlinge werden bleiben, und es ist unsere Aufgabe, sie vom ersten Tage an zu integrieren“, sagt Hein und lobt das bemerkenswerte ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit. Hier sei allerdings mehr Unterstützung und Förderung als bisher notwendig. „Die Willkommenskultur braucht nachhaltige Willkommensstrukturen. Wenn wir wollen, dass die vielerorts positive Grundhaltung und Solidarität mit Flüchtlingen bleibt, brauchen wir mehr hauptamtliche Begleitung und Qualifizierung des Ehrenamts und den Ausbau der unabhängigen Flüchtlingsberatung.“
In die Zukunft der Gesellschaft investieren
Für ein grundsätzliches Umdenken in der Flüchtlingspolitik wirbt der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Dr. Wolfgang Gern. „Wir müssen aus dem Notfallmodus, der bisher herrscht, herauskommen, und die Flüchtlingsaufnahme als zentrales Politikfeld der nächsten Jahrzehnte begreifen“, so Gern. Es bedürfe erheblicher öffentlicher Investitionen in Bildung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und den Bau von bezahlbarem Wohnraum. „Das sind aber nicht nur Belastungen, das sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft, in der Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielen sollen“, betont der Diakonie-Chef.
Flüchtlinge erster und zweiter Klasse vermeiden
Erste Schritte in diese Richtung seien mit einigen Verabredungen bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 18. Juni gemacht worden. Gern begrüßt unter anderem die Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber, bedauert allerdings, dass dies nur für eine bestimmte Gruppe mit „guter Bleibeperspektive“ geschehen soll. „Damit würden Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geschaffen. Das ist diskriminierend und schadet dem gesellschaftlichen Klima“, sagt Gern. Wichtig sei auch die Ankündigung, dass sich der Bund dauerhaft an der Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme beteiligen werde.
Unabhängige Asylverfahrensberatung staatlich fördern
Im Blick auf die aktuelle Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen betont Gern die zentrale Bedeutung einer unabhängigen Verfahrensberatung, die in Hessen überhaupt nicht und in vielen anderen Bundesländern nicht ausreichend finanziert werde. „Für die Asylantragsteller ist die Verfahrensberatung existentiell wichtig. Es kann nicht sein, dass die öffentlichen Aufnahmestrukturen jetzt besser finanziert werden, für die Beratung der Flüchtlinge aber das Geld fehlt“, kritisiert Gern.
Information
Zurzeit finanzieren die EKHN, die EKKW und die Diakonie Hessen insgesamt 10,5 unbefristete Stellen in der unabhängigen Flüchtlingsberatung in Hessen und Rheinland-Pfalz (in Erstaufnahmeeinrichtungen und den Regionen). Darüber hinaus gibt es in der EKHN drei Flüchtlingsseelsorgestellen. Mithilfe zusätzlicher Mittel, die die beiden Landessynoden in 2013 und 2014 bereitgestellt haben (mehr als 1,6 Millionen Euro) konnten weitere sechs befristete Flüchtlingsberatungsstellen finanziert werden sowie mehr als 50 Projekte in Gemeinden und Dekanaten zur Unterstützung einer Willkommens- und Aufnahmekultur für Flüchtlinge.
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