Freizeit
Freunde treffen - nur noch im Netz?
Johannes KrenzerParcour in sankpeter23.09.2014 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
In ihrer Freizeit beschäftigen sich die Deutschen mit: Fernsehen, Radio, Telefonieren, Zeitung lesen, Internet. Das sind zumindest die „Top 5“ der Aktivitäten, die die Befragten des „Freizeitmonitor 2014“ angegeben haben. Klarer Gewinner ist der Computer: 1994 haben nur neun Prozent einmal pro Woche vor dem Bildschirm gesessen, heute sind es 60 Prozent. Der Verlierer: Die Zahl derer, die einmal in der Woche etwas mit Freunden machen, ist um 17 Prozent gesunken. Diejenigen, die das Internet am meisten nutzen, sind Jugendliche. Und die kommen in ihrer Freizeit zum Beispiel in die Jugendkirche in sankt peter in Frankfurt. Eine Suche nach Antworten beim Parcourworkshop.
Die Kirche wird zur Turnhalle
Die Kirche liegt ganz in der Nähe der Einkaufstraße Zeil in Frankfurt. Von außen ist es das gewohnte Bild: Ein massives, graubraunes Kirchenschiff, eine hoher Turm, Kreuz auf der Spitze. Innen bietet sich ein anderes Bild: Statt Altar und Bänken stehen hier Kästen und Baugerüste und es läuft Electro statt Orgelmusik. Der Grund: Die Veranstaltungskirche wird an diesem Samstag zu Turnhalle. Gut 60 Jugendliche sprinten durch die Kirche, springen von Kasten zu Kasten, hangeln sich durch die Baugerüste. Bei der Sportart „Parcour“ ist das Credo: Warum ein Hindernis umgehen, wenn es sich auch überwinden lässt? Die Teilnehmer lernen, wie man am effektivsten von A nach B kommt. Einmal gelernt, kann man überall in der Stadt über Mauern springen.
Eine halbe Stunde weniger Freizeit jeden Tag
Alle hier besuchen den Workshop in ihrer Freizeit. Und die wird für Jugendliche immer knapper: Sie haben jeden Tag eine gute halbe Stunde weniger Zeit, hat der „Freizeitmonitor“ herausgefunden. Die Studie sagt: Das liegt zum Beispiel an der mit G8 verkürzten Schulzeit und der Ganztagsschule. Adolf ist 18 Jahr alt und geht in die Oberstufe eines Gymnasiums. Auch er merkt, dass Freizeit immer öfter nur noch am Wochenende möglich ist: „Am Wochenende ist keine Schule: Das sind dann schon sechs, sieben Stunden, die man mehr hat.“ Für Jessica, 25 Jahre alt und Sozialarbeiterin, ist das nicht anders: Sie kommt oft erst um acht von der Arbeit zurück. Zeit hat auch sie fast nur am Wochenende. Pfarrer Eberhard Klein, der Geschäftsführer der Jugendkirche, erkennt: „Junge Menschen haben zu anderen Zeiten Zeit als früher“ und bietet deswegen vor allem Workshops am Wochenende an.
„Ohne Soziale Medien kann man nicht mehr leben“
Die Freizeit von Jugendlichen wird knapper, das Internet und Social Media wichtiger, das zeigt die Studie. Bei Menschen bis 24 Jahren ist Internet die Nummer eins der Freizeitaktivitäten, die sozialen Medien wie Facebook in den Top Ten. Pascal ist 23 Jahre alt und erklärt warum: „Ohne Social Media ist man eigentlich fast nicht mehr fähig zu leben, weil die Informationen so schnell fließen, dass man sonst keine Chance hat, auf dem aktuellen Stand zu bleiben.“ Folgerichtig haben fast alle hier von dem Workshop durch Facebook erfahren - und sich dann gegenseitig angeladen. „Von Parcour wüsste ich ohne Facebook gar nichts“, sagt Jenny, 30 Jahre alt. Für sie sind die sozialen Medien die effektivste Variante, an Informationen und Anregungen zu kommen.
„Die Freundschaften bleiben erhalten“
Information ist der eine Aspekt, Kommunikation der andere: Felix und Adolf sind alte Schulfreunde. Aber Felix ist Soldat bei der Bundeswehr und deswegen unter der Woche weit weg. Über den Kurznachrichtendienst Whatsapp hat Adolf ihn zum Workshop eingeladen und das Treffen arangiert. Und über Facebook bleibt man auf dem Laufenden: Was macht der andere? Für Adolf ist das eine große Chance: „Die Freundschaften bleiben erhalten“. Und noch dazu sind neue Freunde nur einen Klick entfernt. Die Jugendkirche nutzt diese neue Form zu kommunizieren, in dem sie beispielsweise eine Online-Seelsorge anbietet. Die Face-to-Face-Seelsorge-Angebote hätten nicht gefruchtet, erzählt Klein. Über das Internet können sich die Jugendlichen jederzeit an die Seelsorger richten - das geschehe oft zu Nachtzeiten. Prinzipiell findet er Social Media nicht gefährlich: „Die Jugendlichen gehen damit in der Regel sehr verantwortungsbewusst um“.
Ist online gleich unverbindlich?
Trotzdem: Werden Beziehungen durch den Kontakt über Bits und Bytes unverbindlicher? Ja und nein, meint Adolf. Schwierig sei es bei Leuten, die man nur über das Internet kennen gelernt habe: „Dann sind die Beziehung zu der Person natürlich nicht so stark.“ Andererseits könne man eben gerade die Beziehungen, die sich schon gefestigt haben, einfacher aufrechterhalten. Auch Klein denkt eher, dass sich klassische und neue Wege ergänzen: „Es gibt immer noch ein hohes Interessse an Gruppe und an Verbindlichkeit“. Das Signal „ich kann mich auf dich verlassen“ sei immer noch sehr wichtig. Die Jugendkirche probiert den neuen Weg aus: zeit-, interessens- und projektbezogene Verbindlichkeit - zum Beispiel durch Workshopangebote. Die Kritierien dafür fasst Klein so zusammen: Interessen und Stärken ansprechen, Gleichaltrige zusammenbringen, eine „klare, aber zurückhaltende, freundliche, pädagogische Begleitung“ und Zutrauen schaffen: „Trau es dich einfach bei uns!“. Die Jugendlichen scheinen das zu schätzen: Man fühle sich wohl und sicher. „Es ist sehr familiär“, sagt Felix.
Jugendliche sind Spitzenreiter im Freundetreffen
Etwas mit einer Gruppe zu unternehmen ist also immmer noch wichtig - eine feste, regelmäßige Zeit ist für die Jugendlichen dafür nicht von Nöten. Jessica will nach dem Workshop weitermachen mit Parcour und sich mit anderen Teilnehmern treffen. Dafür brauche sie sich nur über eine Gruppennachricht auf dem Smartphone mit den anderen verbinden: „Ich kann denen dann einfach schreiben: Ey, Leute, ich habe gerade heute Zeit und Lust Parcour zu machen, wer sonst hat Lust?“ Man sei eben nicht so festgelegt. Auf die Frage, ob sie das Gefühl haben, immer weniger mit Freunden zu unternehmen, antworten alle einhellig: Nein. Und auch die Studie zeigt: über 90 Prozent aller Jugendlichen unternehmen mindestens einmal im Monat außerhäuslich etwas mit ihren Freunden - das sind 30 Prozent mehr als der Bundesdurchschnitt, also deutlich mehr als bei den Erwachsenen.
Wie Verbindlichkeit und Spontanität zusammenpassen
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Immer mehr Deutsche wünschen sich Spontanität in ihrer Freizeit. Auch für Jessica ist das wichtig, weil das Leben durch die Arbeit und alles andere schon so durchgetaktet sei. Wenn sie unterwegs ist, möchte sie sich spontan entscheiden können, einfach Parcour zu machen - wenn sie Zeit hat. Adolf hat eine andere Einstellung dazu: „Für mich ist es schwierig, etwas spontan zu machen, eben weil ich so wenig Zeit habe. Da muss es schon geplanter sein“. Er geht fast jeden Tag mit einem Freund ins Fitnesstudio: Zwischen fünf und sechs fangen sie an, zu trainieren, das sprechen sie vorher ab. So verschieden Adolf und Jessica mit der Taktung umgehen: beide wollen spontan Entscheidungen treffen, auch wenn die Zeitfenster verschieden groß sind. Das Netzwerk der sozialen Medien macht diese schnelle Absprache mit den Freunden möglich. Die Verbindlichkeit ist geblieben, aber sie ist spontaner geworden. Anders gesagt: Die Zeit wird flüssiger.
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