Netzwerk gegen Rechts
Friedenstaube als Feindbild?
privatNachts hat jemand in Allendorf eine Haustür eingetreten – aller Wahrscheinlichkeit nach waren es rechtsextreme Jugendliche16.07.2013 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Es ist der erste Mai in diesem Jahr. Der Tag der Arbeiter und Ausflügler neigt sich dem Ende. In der beschaulichen Kleinstadt Allendorf an der Lumda gehen nach und nach die Lichter aus. Auch Martin Laufenberg hatte es sich in seinem Haus in der Allendorfer Kernstadt schon vor seinem Fernsehgerät gemütlich gemacht. Plötzlich, gegen 23 Uhr, wird es laut. „Auf einmal höre ich von draußen Krach und Gebrüll. Dann knallt es wie Donnerschläge!“, erinnert sich Laufenberg. Aufgeschreckt will er nach draußen eilen, um zu sehen was los ist. Dann der große Schock: Jemand hat seine Haustür eingetreten. Die Tür zu seiner Privatsphäre und seiner Familie mit vier Kindern steht sperrangelweit auf und lässt sich in diesem Zustand nicht schließen. Ein mulmiges, bedrohliches Gefühl. Martin Laufenberg muss nicht lange überlegen, um zu ahnen, wer hinter dieser Tat steckt. „Schon fünf Wochen zuvor haben die Rechtsextremen meine Hausfassade mit rohen Eiern beworfen!“ Während sich Laufenberg konsterniert den Tatort ansieht, hört er die mutmaßlichen Täter von dannen ziehen. Der unsägliche Gruß der Rechten schallt aus der Ferne.
Ein Friedensaktivist vertraut seinen Idealen
Laufenberg hatte sich jahrelang bei den Grünen politisch engagiert, war aber im Zuge des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr aus der Partei ausgetreten. Noch heute setzt er sich für Frieden und umweltbewusstes Denken ein. Als Zeichen dafür hatte er schon vor längerem in seinem Vorgarten zwei Flaggen gehisst: Eine mit Friedenstaube und die andere gegen Atomkraft. „Offensichtlich reicht das schon, um den Rechten zum Feindbild zu werden!“ Nach der Tat hatte ihm sogar die Polizei geraten, die Flaggen abzunehmen – aus Sicherheitsgründen. Doch Martin Laufenberg denkt nicht daran, klein bei zu geben. „Wenn ich denen das Feld räume, dann haben sie ja das erreicht, was sie wollen.“ Demonstrativ unternimmt er in der Nacht noch einen Spaziergang durch Allendorf, um den Rechten zu signalisieren: „Ich lasse mir mein Heimatgefühl nicht nehmen!“ Trotzdem sieht sich Laufenberg gezwungen, sein Haus mit Kameras, Bewegungsmeldern und Feuerlöschern auszustatten. „Aber so ganz weg, ist das Angstgefühl immer noch nicht!“
Aktivitäten der rechten Szene
Angst ist das, was die rechte Clique im Lumdatal verbreiten will und so ist die Geschichte um Martin Laufenberg kein Einzelfall. In der Nacht des 1. Mai zogen die Rechtsextremen, die sich den Namen „Die Stimme des Lumdatals“ gegeben haben, noch weiter durch Allendorf. Sie sollen auch bei SPD-Bürgermeisterin Anette Bergen-Krause randaliert haben. Zuvor sollen sie auch im Internet Möbelstücke und Pizzalieferungen auf deren Adresse bestellt haben. Auf dem jüdischen Friedhof im Lumdatal wurden Gräber geschändet. Auch die Kirchen haben sie mit Hakenkreuzen beschmiert. Zudem missbrauchen die Rechtsextremen die Schulen im Lumdatal als Bühne für ihre Propaganda, verteilen unter anderem CDs mit Rechtsrock und bepöbeln Mitschüler. Treffpunkt der rechtsextremen Aktivitäten ist eine Gartenhütte auf der ehemaligen Grenze Preußens im Gebiet der Gemeinde Allendorf. Von dort aus, so heißt es, sollen die rechtsextremen Aktionen geplant werden. Das alles zeigt, welche Ausmaße die Aktivitäten Rechtsextremer im Lumdatal schon erreicht haben. Dabei handelt es sich nach übereinstimmenden Angaben im Kern um lediglich 10-15 Jugendliche und junge Erwachsene, die seit 2011 das Lumdatal in Atem halten. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt sich mittlerweile schon mit den rechten Aktivitäten.
Netzwerk bekennt Farbe
Die demokratisch gesinnten Lumdataler halten aber dagegen. Sie haben das „Netzwerk für Demokratie und Toleranz“ gegründet. Der Slogan: „Das Lumdatal bleibt bunt.“ Darin sind Privatpersonen ebenso aktiv, wie die örtliche Politik, die Vereine und auch die Kirchen. Sie veranstalten Mahnwachen, Solidaritätskundgebungen und Gegendemonstrationen. Auch Martin Laufenberg ist hier aktiv: „Die Leute im Netzwerk vermitteln einem ein wichtiges Solidaritätsgefühl, gerade nachdem man so wie ich angegriffen wurde.“ Das Ziel des Netzwerkes ist es, sofort auf Aktionen der Rechten zu reagieren und zu sagen: „Wir haben im Lumdatal keinen Platz für Diskriminierung und Gewalt. Wir wollen hier kein rechtes Gedankengut!“
Rechte Ideologie widerspricht christlichem Menschenbild
Auch die evangelische Kirche engagiert sich im „Netzwerk für Demokratie und Toleranz“. Das Dekanat Kirchberg, dem die evangelischen Lumdataler angehören, organisiert viele Aktionen federführend mit. „Die Nazi-Ideologie richtet sich gegen zentrale Thesen des christlichen Denkens. Sie widerspricht dem Menschenbild der Christenheit.“, sagt Hans-Theo Daum, Dekan des Dekanats Kirchberg. „Wir gehen doch von der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott aus. Das schließt jeden Menschen mit ein“, so Daum weiter. Der Vorteil der Kirchen ist es, dass sie wie kaum eine andere Institution eine Vielzahl unterschiedlicher Menschen erreichen kann. „Das wollen wir nutzen, um die Menschen hier zu sensibilisieren.“ Aber auch gegenüber den Rechtsextremen will sich die Kirche nicht verschließen: „Auch für sie steht unsere Tür offen. Wir wollen mit ihnen ins Gespräch kommen. Die Gesprächsangebote sind allerdings bisher nur auf wenig Gegenliebe gestoßen“, so Dekan Hans-Theo Daum. Aktuell werde geprüft, ob man das Nazi-Aussteigerprogramm „Exit“ ins Lumdatal holen kann, um ausstiegswilligen Neonazis den Austritt aus der rechten Szene zu erleichtern. Zuletzt haben sich die Vereine im Lumdatal nochmals klar und deutlich gegen Rechts positioniert. Am 5. Juli haben sie in Staufenberg eine Erklärung unterzeichnet. Darin wollen sie Akzente gegen jede Form von Extremismus setzen und sich für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen und Bevölkerungsgruppen um Lumdatal einsetzen. „Die Vereine bekennen sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und wollen soziale Probleme unserer Gesellschaft nicht auf Kosten von Minderheiten lösen. Im Sinne dieser Erklärung wollen sie die Kinder- und Jugendarbeit gestalten und das Vereinsleben geprägt sehen.“ Den entsprechenden Text sollen die Vereine künftig auf ihrer Homepage veröffentlichen und natürlich auch beherzigen.
Rechtsruck als Herausforderung für Familien
Die Solidarität unter den Lumdatalern gegen die Bedrohung von Rechts werde immer größer, meint Martin Laufenberg. „Sogar ein Vater, dessen Sohn der rechten Szene im Lumdatal angehört, hat seinem Sohn inzwischen die Gartenhütte verboten, in der sich die Rechten treffen. Bei der Polizei hat er sogar schon Aussage gegen seinen eigenen Sohn gemacht“, weiß Laufenberg zu berichten. Die Menschen im Lumdatal werden sensibler. Seine Haustür hat Martin Laufenberg inzwischen erneuert. „Tagsüber ist unsere Tür aber immer auf. Da hängt nur ein Fliegengitter. Wir möchten die Tür für Gespräche offen halten. Außerdem ist es für potenzielle Angreifer nicht so reizvoll, durch ein Fliegengitter durchzubrechen, als durch eine geschlossene Haustür einzubrechen.“ Martin Laufenberg will sich seine Heimat nicht von den Rechten nehmen lassen. Er und viele andere in der Region setzen sich gegen Rechtsextremismus ein, damit das Lumdatal bleibt, was es ist: „Bunt!“
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