Dekanat Rodgau

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    Burnout eines Pfarrers

    „Ich habe 14 bis 20 Stunden pro Tag gearbeitet“

    Erika von BassewitzIn dieser Skulptur hat er seine Burnout-Erfahrung verarbeitet

    Burnout ist kein Phänomen der Wirtschaft. Im Gegenteil, Menschen aus helfenden Berufen sind besonders betroffen. Pfarrer Thomas Wagner* in Fischborn* hat genauso lange für den Weg in den Burnout hinein gebraucht wie wieder heraus.

    Die mittelalterliche Kirche steht im Ortskern, umringt von Fachwerkhäusern. Im Ort gibt es ein Bürgerhaus und ein Restaurant, 1500 Menschen leben hier. Man kennt sich und geht sonntags in die Kirche. Thomas Wagner* , der Pfarrer, stammt wie die meisten seiner Nachbarn aus der Gegend, seine Familie, die Eltern, Geschwister und die Nichte sind ihm wichtig. Er wohnt gerne in ihrer Nähe.

    Mit dem Partner ins Ausland

    Für die Liebe hat er sie vor vier Jahren verlassen. „Mein Partner hatte eine Stelle in einem anderen Land, und ich bin mitgegangen“, erzählt Wagner. „Ich bin dieses Wagnis eingegangen, neue Stelle, neuer Ort, neues soziales Umfeld.“ 

    Wagner findet eine Anstellung als Pfarrer in der Großstadtgemeinde. 4000 Gemeindeglieder hat er alleine zu betreuen, weil die zweite Pfarrstelle der Gemeinde nicht besetzt werden kann. Die Kirchensteuereinnahmen sind zu gering, die Gemeinde aus finanzieller Sicht zu arm, dafür aber reich an sozialen Brennpunkten und Mitgliederfluktuation. 

    Bauherr, Lehrer und Seelsorger

    Neben der doppelten inhaltlichen Arbeit muss Wagner auch viele formelle Dinge erledigen: die Kirche, die Orgel und das Gemeindehaus renovieren und den Bau eines neuen Kindergartens mit eingebauter Dienstwohnung leiten. Bauherr ist die Kirchengemeinde, Wagner als amtsführender Pfarrer vertritt sie in den Verhandlungen mit den Architekten und der Kommune. Nebenher gestaltet er den Gemeindebrief neu und sorgt dafür, dass die Gemeinde eine Kirchenhomepage erhält. „Anfangs gelang es mir, die Arbeit auch zu meistern, es war zwar sehr stressig, aber es war eher ein positiver Stress, “ erinnert sich Wagner. „Es gab ja Erfolge.“

    Und Wagner hat Erfolg bei den Menschen. Sie vertrauen ihm, suchen seine Hilfe als Seelsorger, nicht nur aus dem engsten kirchlichen Kreis. „Das hat sich nach einem guten halben Jahr so geweitet, dass die verschiedensten Probleme kamen, von Arbeitslosigkeit über Drogen und Missbrauch zu Gewalt, “ erinnert sich der Pfarrer. Auch Menschen aus anderen Konfessionen wenden sich Hilfe suchend an den Deutschen. „Es gab in dieser Stadt sehr viele Menschen, die aus einer anderen Konfession gekommen sind, die in ihrer Kirche missbraucht wurden.“ Die Menschen vertrauten Wagner. Zu Recht, denn er nimmt sie ernst, kümmert sich, sucht weiterführende Betreuung durch psychologische Fachkräfte. 

    Die Probleme der Menschen gehen ihm nahe und er fühlt sich verantwortlich: „Wer zu mir als Pfarrer kommt mit einem Seelsorgeproblem, für den versuche ich da zu sein und ihm zumindest ein offenes Ohr zu schenken.“ 

    „Ich habe 14 bis 20 Stunden pro Tag gearbeitet“

    Wagner arbeitet 14 bis 20 Stunden am Tag, steht ständig unter Strom. Für Privates bleibt keine Zeit, auch das Essen fällt immer häufiger aus. Er magert ab, seine Wangen fallen ein. Dunkle Ringe unter seinen Augen zeugen vom Schlafmangel. Die Zeiten der Schlaflosigkeit nutzt er zum Arbeiten. Seinen müden Augen fehlt der Glanz, er läuft mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf. Immer öfter versagt ihm die Stimme den Dienst, auch das lange Stehen während der Amtshandlungen fällt ihm schwer. Ihm fehlt die Kraft. Früher war er ein begeisterter Jogger und Radfahrer, jetzt plagen ihn Knieprobleme. Die Erkältungen häufen sich. 

    Der Eu-Stress wird zum Dis-Stress

    „Man surft auf einer Erfolgswelle, das ist schon auch ein sehr großes Hochgefühl“, erinnert sich Wagner an den Adrenalinkick. „Aber irgendwann schlägt die Welle über dem Kopf zusammen. Dann ist man irgendwann erst mal k.o.“ Der positive Stress, griechisch Eu-Stress wird zum Dis-Stress, dem negativen Stress.

    Nach einem Jahr kommt der Zusammenbruch

    Wagner macht weiter. Mit den Renovierungen, dem Neubau, dem Schulunterricht, den Konfirmanden, der Seelsorge und den Gottesdiensten. Die Beziehung zu seinem Partner zerbricht: „Es war nicht wie in einer klassischen Ehe, in guten wie in schlechten Tagen, es war dann irgendwann mein alleiniges Thema. Ich habe mich dann einfach auch im Stich gelassen gefühlt.“ Wagners Vater stirbt plötzlich, die beiden standen sich sehr nahe. Der Bruder wird krank, auch die Schwägerin und die Nichte. „Irgendwann fragt man sich: Was muss ich denn noch alles aushalten? Was ist der nächste Schlag?“

    Wagner merkt, dass er Hilfe braucht. Er bittet um Supervision und arbeitet mit seiner Supervisorin das erste Arbeitsjahr auf. Es geht ihm besser. Er steigt wieder stärker in den Beruf ein. Zwei Monate später bricht er vollkommen zusammen.

    Der Weg aus dem Burnout dauert ein Jahr

    Seine Supervisorin kennt ein Kriseninterventionszentrum, vermittelte ihm eine gute Psychologin. Einmal die Woche treffen sie sich. Ein Jahr lang. Außerdem geht er für sechs Wochen in eine Klinik. Er wird für zwei Jahre beurlaubt.

    Bei seinen Vorgesetzten stößt er mit der Diagnose Burnout auf Unverständnis, wird als Simulant bezeichnet, obwohl er zwei Gutachten vorweisen kann. „Ich hatte ja sehr viel Erfolg, die Gemeinde prosperierte und als dann der Lokführer krank wurde, hat man erstmal so getan, als wäre das gar nicht wahr.“

    Als Auslandspfarrer sollte er eigentlich regelmäßig an seine Heimatkirche berichten. Als das Schreiben ausbleibt, werden Fragen gestellt. Erstmals gibt die Gastkirche zu, dass Wagner erkrankt ist.

    Besuch aus der Heimat macht Mut

    Ein Mitglied der Kirchenleitung verbindet eine andere Dienstreise mit einem Besuch bei dem ausgebrannten Pfarrer. „Das war für mich eines der stärksten Signale. Ich war gerade zwei Tage aus der Reha zurück, “ freut er sich. „Und ich wurde gefragt, wie es mir geht: Was kann unsere Kirche für sie tun?“

    Nach diesem Besuch beschließt Wagner, früher als geplant in die EKHN zurückzukehren, sich eine neue Pfarrstelle in der Nähe seiner Familie zu suchen. „Ich habe gemerkt, dass man nicht alleine da steht, sondern dass es auch innerhalb der Arbeitsbeziehung Kirche eine Kirchenleitung gibt, die in gutem Sinne ihre Verantwortung wahrnimmt.“

    Die Heimat- und die Gastkirche sind beide einverstanden, er könnte sofort wechseln. Wenn er wollte. Aber er will nicht. Er nimmt sich die Zeit, die er braucht, um sich von den Menschen in seiner Gemeinde zu verabschieden. 

    Die Beziehungen zu den Menschen überstehen den Burnout

    Auch sonst nimmt er sich jetzt Zeit: Für sich, für seine Interessen und für das Essen. Joggen darf er noch immer nicht, dafür haben seine Knie im Burnout zu sehr gelitten. Aber er kann in die Oper gehen und Theater besuchen. Oder selbst kreativ arbeiten, in der Klinik hat er die Bildhauerei für sich entdeckt und seine Burnout-Erfahrungen auch in Skulpturen verarbeitet.

    Die Beziehungen zu den Menschen im Ausland aber gehen über das Ende der Stelle und den Burnout hinaus. Im Herbst will er seine alte Gemeinde wieder besuchen. Einen Gottesdienst wird er dort halten, vielleicht auch ein Paar trauen und ein Kind taufen.

    *Namen von der Redaktion geändert

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