Serie: Flüchtlinge im Kirchenasyl
Immer wieder Ungarn und zurück
Tobias Boos/Boos+GoeckelEine Odysee führt Palästinenser Khalid nach Deutschland.15.09.2015 red Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Bernd Schmid/EKHNKhalid lebt seit dem 27. April 2015 im Kirchenasyl.Von Torsten Jäger
Der 42-jährige Khalid ist staatenloser Palästinenser. Mit Frau und zwei Kindern lebt der Ingenieur in bescheidenem Wohlstand in einem Flüchtlingslager bei Damaskus. Weil die Familie von dem Bürgerkrieg in Syrien trotz wiederholter Flucht immer wieder eingeholt wird, fasst sie einen Entschluss: Khalid soll in Europa einen sicheren Ort für sie finden. Per Bus flieht er im August 2014 in die Türkei und von dort aus in einem überfüllten Schlauchboot auf eine griechische Insel. Dort wird Khalid verhaftet und erst nach zehn Tagen wieder freigelassen. Er wird aufgefordert, das Land innerhalb eines Monats zu verlassen. Er geht nach Athen und organisiert die Weiterflucht.
In Griechenland bleibt Fluchthilfe aus
In einem Minibus erreicht er die griechisch-mazedonische Grenze. Er überwindet sie zu Fuß und marschiert quer durch das Land. Kurz vor der serbischen Grenze wird er von Unbekannten überfallen und beraubt, kurz vor Belgrad von serbischen Sicherheitskräften aufgegriffen. Gegen Geld und mit der Auflage, Serbien umgehend zu verlassen, kommt er frei. Er vertraut sich „Fluchthelfern“ an, die ihn zur serbisch-ungarischen Grenze bringen. Der Übertritt gelingt, dann aber bleibt die Fluchthilfe aus.
Stattdessen stürmen ungarische Sicherheitskräfte das Haus, in dem sich Khalid versteckt hält. Die Art und Weise der Verhaftung und die Haftbedingungen, denen er ausgesetzt ist, sind menschenunwürdig. Nach seiner Freilassung vertraut Khalid sich erneut „Fluchthelfern“ an. Anfang Oktober 2014 erreicht er Stuttgart. Er stellt einen Asylantrag und wird in die rheinland-pfälzische Kleistadt Wirges im Dekanat Selters umverteilt.
Deutschland droht mit Abschiebung
Kurz darauf lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuständigkeit für seinen Asylantrag ab, setzt ihm eine Ausreisefrist bis 13. April 2015 und droht ihm die Abschiebung an. Khalids Anwalt legt Rechtsmittel ein, die ihn bis zur Entscheidung des Gerichts schützen sollen. Trotzdem sorgt er für den Fall der Fälle vor. Er wendet sich hilfesuchend im März 2015 an die Evangelische Kirchengemeinde in Wirges. Die beschließt daraufhin Kirchenasyl zu gewähren, sobald die Situation es erfordert. Noch bevor die Frist zur Ausreise nach Ungarn ausläuft, lehnt das Verwaltungsgericht die Klage ab. Weil sein Anwalt versäumt, darüber zu informieren, wiegt Khalid sich fälschlicherweise in Sicherheit. Am 14. April 2015 um 5 Uhr morgens dringen Polizisten in seine Unterkunft ein und bringen den völlig verstörten Mann zum Frankfurter Flughafen. Von dort aus wird Khalid drei Stunden später nach Budapest abgeschoben.
In Nacht-und-Nebel-Aktion ausgesetzt
Dort wird er der Polizei übergeben und schon wieder in Gewahrsam genommen. Weil er in Ungarn für sich und seine Familie nach den schlimmen Vorerfahrungen keine Zukunft sieht, will er keinen Asylantrag stellen. Er muss daher schriftlich versichern, freiwillig nach Serbien auszureisen. Mitten in der Nacht bringt man ihn zu einer weit abgelegenen Straße in der Stadt und setzt ihn aus.
25 Kilogramm Körpergewicht durch Flucht verloren
Insgesamt viermal versucht Khalid in den nächsten zwölf Tagen, Budapest zu verlassen und Zuflucht in einem sicheren Land zu finden. Dreimal wird er aufgegriffen und zurück gebracht. Erst beim vierten Versuch gelingt es ihm, versteckt in einem Kraftfahrzeug, wieder nach Deutschland zu kommen. Am 27. April morgens erreicht Khalid mit dem Zug den Bahnhof in Montabaur. Die zehn Kilometer bis nach Wirges läuft er zu Fuß. Um 8:15 Uhr steht Khalid, der seit Beginn seiner Flucht im August 2014 etwa 25 Kilogramm Körpergewicht verloren hat, übernächtigt und ausgemergelt vor der Tür des Pfarrhauses. Er ist in seinem Kirchenasyl angekommen.
Seine und die Zukunft seiner Familie sieht Khalid in Deutschland – egal wie lange es dauern wird. Nach Ungarn, wo er so schlecht behandelt wurde und erst recht nach Syrien, wo der Krieg tiefen Hass zwischen den Menschen gesät hat, führt für Khalid kein Weg zurück.
Die komplette Geschichte von Khalid kann in der Broschüre „Aus gutem Grund – Kirchenasyl in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“ nachgelesen werden. Herausgeber sind die Diakonie Hessen und die EKHN. Die Broschüre kann bei der Diakonie Hessen bezogen werden. Ansprechpartnerin ist Cornelia Dreuw im Bereich Flucht, Interkulturelle Arbeit und Migration.
Email an Cornelia Dreuw
Die Broschüre gibt es auch zum Download auf EKHN.de (PDF)
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