100 Jahre evangelische Kinderbetreuung in Mühlheim am Main
Kita „Arche Noah“ feiert Jubiläum
Kunert
12.05.2025
stk
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Die traditionsreiche Einrichtung ist nicht nur die einzige evangelische Kita in der Mühlenstadt, sondern auch im Nachbarschaftsraum Mühlheim-Obertshausen. „Der evangelischen Kirche in Mühlheim war es schon immer wichtig, eine adäquate christliche Kinderbetreuung zu gewährleisten“, weiß Pfarrerin Martina Grombacher, die den Gottesdienst gemeinsam mit dem Kita-Team und den Kindern gestaltet. Die Predigt hält Steffen Held, Dekan im Evangelischen Dekanat Dreieich-Rodgau. „Ich freue mich schon sehr auf dieses außergewöhnliche Jubiläum einer ganz besonderen Kita“, sagt Held. „Unsere ‚Arche Noah‘ ist ein wertvoller Ort für alle. Ein Ort, der Schutz, Geborgenheit, Lebensfreude und Gemeinschaft ermöglicht.“
Einst „evangelische Kleinkinderschule“
Wie historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv belegen, reichen die Anfänge bereits in die Jahre 1916/17 zurück. Am 1. Oktober 1925 gründete der Kirchenvorstand offiziell die „evangelische Kleinkinderschule“ im heutigen Gemeindehaus. Laut Schulordnung sollte bewirkt werden, dass Kinder, die wegen anderweitiger Beschäftigung ihrer Eltern nicht adäquat beaufsichtigt werden konnten, „vor Gefahren geschützt, vor üblen Einflüssen bewahrt, zur Gottesfurcht hingeführt, an Gehorsam und gute Sitten gewöhnt und so für die späteren Lebensjahre vorbereitet werden“. Jesu Wort „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes“ (Mark.10,14) bestimmte den Geist des Hauses.
Ursprünglich führten Diakonissen die Einrichtung, die werktags von morgens früh bis in die Nachmittagsstunden geöffnet war. Diese „Fräulein“ sorgten für die Einhaltung eines festen Tagesablaufs. So stand am Beginn des Tages das gemeinsame Gebet, anschließend verzehrten die Kinder im Stuhlkreis zusammen ihr mitgebrachtes Frühstück. Der obligatorische Mittagsschlaf gehörte ebenso dazu wie die Beschäftigung an der frischen Luft.
Direkt bei der Friedenskirche
Während des Zweiten Weltkriegs gleichgeschaltet, erfolgte 1946 die Wiedereröffnung der Einrichtung unter Trägerschaft der Evangelischen Friedensgemeinde. 1959 stand der Umzug in die neuen Räumlichkeiten unter der Friedenskirche auf dem Programm, bei deren Einweihung im gleichen Jahr Martin Niemöller in seiner Eigenschaft als Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) die Festpredigt hielt. Wurden in den Folgejahren zunächst 95 Kinder betreut, waren es durch den Geburtenrückgang ab Ende der 60er-Jahre schließlich 1975 nur noch 40. Trotzdem entschied der Kirchenvorstand 1980, die Kita zu erhalten. Auf Initiative von Pfarrer Hans Rumpeltes beschloss das Gremium 1986, der Einrichtung ein eindeutig diakonisches Profil zu geben.
Integrativer Ansatz
1987 nahm die Sozialpädagogin Ingrid Schimanowski ihren Dienst auf. Unter ihrer Leitung vollzog sich die Umwandlung in eine „Integrativ arbeitende Kindertagesstätte“ mit der offiziellen Anerkennung 1988. Zehn Jahre später gab sich die Kita den Namen „Arche Noah“, ebenfalls 1998 entstand der Förderverein „Pro Arche“. Dieser leistet Unterstützung bei Umbauarbeiten, der Anschaffung pädagogischer Materialien, der Finanzierung von Ausflügen, Fahrzeugen sowie durch die Förderung von sprachlichen, musischen und sportlichen Aktivitäten.
Nach 29 Jahren erfolgreichen Wirkens trat Ingrid Schimanowski 2016 in den Ruhestand. Anschließend übernahm erst Fabienne Thiessen das Ruder – heute führt sie die Klein-Auheimer Kita Löwenherz –, später Jasmin Wolfram. Seit Sommer 2021 steht Andrea Leukart an der Spitze. Bereits zu Beginn dieses Jahres war die rechtliche Trägerschaft auf das Evangelische Dekanat Dreieich-Rodgau übergegangen. „Seither sind Haupt- und Ehrenamtliche der Friedensgemeinde von den Verwaltungsaufgaben entlastet, dafür bleibt ihnen mehr Zeit für pädagogisches und religiöses Arbeiten, für Konzepte und Reflexion“, erläutert Dorothee Munz-Sundhaus, Geschäftsführung Kindertagesstätten im Evangelischen Dekanat.
Normal, nicht der Norm zu entsprechen
Eigentlich mit einer Betriebserlaubnis für 50 Kinder ausgestattet, besuchen derzeit insgesamt 30 Jungen und Mädchen die Kita, zehn von ihnen mit erhöhtem Förderbedarf. Die Kommunikation erfolgt gebärdenunterstützt: Fünf Erzieherinnen sind geschult in Gebärdensprache. Von den 13 pädagogischen Fachkräften haben zwei eine körperliche Beeinträchtigung – für das Miteinander aus Sicht aller Beteiligten keinesfalls von Nachteil: „Hier werden viele positive Impulse für das weitere Leben gesetzt“, erklärt Leukart. „Die Kinder erfahren ihr ganzes Kita-Leben über, dass alle Menschen so angenommen werden, wie sie sind. Für sie ist es normal, dass es Menschen gibt, die nicht der Norm entsprechen.“ Und sie betont: „Uns ist es wichtig, christliche Werte zu vermitteln: Man passt aufeinander auf, nimmt Rücksicht und fühlt sich als Teil einer Gruppe.“
Religionspädagogischer Schwerpunkt
Qualitätssicherung hat in der Arche Noah einen hohen Stellenwert. So wurde das erste pädagogische Konzept aus dem Jahre 1991 kontinuierlich weiterentwickelt. Neben dem integrativen Ansatz bildet die Religionspädagogik einen Schwerpunkt. Das komplette pädagogische Team verfügt über entsprechende Fortbildungen. Natalie Wittmann qualifizierte sich zudem über eine Langzeit-Weiterbildung der EKHN als religionspädagogische Fachkraft und erarbeitete mit ihren Kolleginnen und Kollegen ein religionspädagogisches Konzept. Zu diesem gehört, dass die Kleinen während ihrer Kita-Zeit regelmäßig sogenannte „Herzensorte“ sammeln, die sie mit christlichen Geschichten vertraut machen. Am Ende verfügt jedes Kind über eine individuell gestaltete Mappe mit insgesamt zwölf Pixi-Büchern rund ums Alte und Neue Testament.
„Herzensorte“ und „Herzensorte“
Fester Bestandteil sind auch die „Herzensorte“ – Andachten mit Liedern und Gebeten, die nach einem festen Ritual dreimal pro Monat in der Kita und einmal im Monat mit Martina Grombacher in der Kirche gefeiert werden. „Die Kleinen erfassen instinktiv die Spiritualität des Kirchenraums und fühlen sich dort wohl“, berichtet die Seelsorgerin und Andrea Leukart ergänzt: „Sie lauschen interessiert, was die Pfarrerin erzählt.“ Diese steht in regelmäßigem Austausch mit den religionspädagogischen Kräften in der Kita und empfindet die Zusammenarbeit als „sehr fruchtbar“. Durch die räumliche Nähe zwischen Kita, Kirche und Pfarrhaus ist sie im Alltag der Kinder präsent und kennt sie persönlich. Die Kleinen erleben die Pfarrerin in Jeans ebenso wie im Talar und können über Advents-, Schulanfänger- und Gemeindegottesdienste, an denen die Kita beteiligt ist, oder die Mitwirkung bei Krippenspielen langsam ins Gemeindeleben hineinwachsen.
Patenschaft für Streuobstwiese
Die Kita ist in Mühlheim nicht nur im kirchlichen Rahmen aktiv. Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten übernahm die Einrichtung die Patenschaft über eine Streuobstwiese im Naherholungsgebiet, die die Kinder seither mit Hingabe pflegen. Dieser vorbildhafte Einsatz war der Frankfurter Volksbank im Wettbewerb „Starke Sache“ 2023 den ersten Preis wert. Den Hessischen Inklusionspreis der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der 2025 zum zweiten Mal verliehen wurde, gewannen die Kinder zwar dieses Jahr noch nicht, davon lassen sie sich jedoch nicht entmutigen. Wie Andrea Leukart verrät, laufen bereits die Vorbereitungen für ein neues Projekt, mit dem sie sich in zwei Jahren erneut bewerben. Ideen gibt es reichlich.
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