Vorurteile verändern
„Mal ehrlich – die wollen doch gar nicht arbeiten!“
Aka/pixelio.deManche Etiketten rufen nach einer scharfen Schere, um das Wesentliche freizulegen13.10.2013 cm Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Charlotte MattesProf. Dr. Beate Küpper vermittelt engagiert ihre ForschungsergebnisseBei der Tagung „Mal ehrlich – die wollen doch gar nicht arbeiten!“ im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN in Mainz wurden die Ursachen und der Umgang mit Vorurteilen thematisiert. Mit interaktiven Spielen und anschaulichen Folien hat Professorin Beate Küpper als eine der Referentinnen erklärt, wie Vorurteile entstehen und wie jeder Einzelne sie verändern kann.
Charlotte Mattes von der Multimediaredaktion der EKHN war auf der Tagung im September 2013 und hat sich mit Professorin Beate Küpper unterhalten.
Frau Küpper, warum haben wir Vorurteile?
Beate Küpper: Wir haben ganz viele komplexe Eindrücke, die auf uns niederprasseln. Die müssen wir sortieren. Wir sortieren Stühle, Pflanzen, Autos oder Tiere und wir kategorisieren auch Menschen. Wir stecken sie in Schubladen. Das ist etwas, was unser Gehirn fast nicht anders kann. Nach welchen Merkmalen wir aber Menschen in Schubladen sortieren, beziehungsweise welche Merkmale uns dabei wichtig erscheinen, ist keineswegs ein automatischer Prozess und wird nicht zuletzt zum Beispiel auch durch die Medien gesteuert.
Wenn Vorurteile ihren Sinn haben – was macht sie dann problematisch?
Beate Küpper: Schwierig wird es, wenn wir sie nicht hinterfragen und Bewertungen damit verbunden sind. Dann glauben wir zu wissen „wie die so sind“ und in der Regel sind „die“ ein bisschen schlechter als wir. Wir müssen nicht neu nachdenken, sondern nehmen einfach das als vermeintliches Wissen, was wir vermeintlich immer schon über eine Gruppe wussten. Vorurteile arbeiten mit Bildern, die teilweise uralt sind. Beim Antisemitismus und Sexismus werden noch Bilder aus dem Mittelalter benutzt.
Was habe ich davon, Vorurteile zu haben?
Beate Küpper: Vorurteile schaffen scheinbar Selbstwert. Ich muss gar nicht besser sein als andere. Aber indem ich andere runtermache und abwerte, steige ich unweigerlich selbst im Vergleich auf. Dann rückt auch mein eigenes Umfeld wieder näher zusammen und wir fühlen uns wohler miteinander, verbündet gegen „die Anderen“. Vorurteile bieten zudem eine vermeintliche Erklärung und Rechtfertigung dafür, warum es soziale Ungleichheiten gibt und warum manche Gruppen weniger Chancen haben als andere.
Gibt es eine Chance, Vorurteile in eine positive Richtung zu verändern?
Beate Küpper: Ja, das ist möglich. Die Frage ist: Gehe ich den nächsten Schritt und hänge starre Bewertungen an meine Kategorien? Sehe ich auch die vielen gemeinsame Punkte, die uns verbinden? Der erste Schritt ist also, dass wir uns unseren Vorurteilen stellen. Das heißt: uns an die eigene Nase zu fassen, wahrzunehmen und auch zu erkennen, dass wir Vorurteile haben. Dabei spielt es eine große Rolle, die eigenen Gedanken bewusst zu bemerken, beispielsweise wenn ich in der Fußgängerzone eine Gruppe obdachloser Menschen sehe: Schießt mir ein verächtlicher Gedanke durch den Kopf? Der zweite Schritt ist, einmal tief Luft zu holen. Und dann kann ich mich fragen: Will ich selbst von diesem fiesen Gedanken betroffen sein? Der dritte Schritt ist, sich dafür verantwortlich zu fühlen und Zivilcourage zu zeigen.
Wie kann ich Zivilcourage zeigen?
Beate Küpper: Wenn Sie sich der Situation gewachsen fühlen, können Sie auch mal den Spielverderber spielen. Es geht darum, sich zuständig zu fühlen für die eigenen Vorurteile und für die, die man im Alltag erlebt: In der Schule, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, im Sportverein. Wir kennen sie alle, diese Vorurteile. Der vierte Schritt sind Handlungsstrategien: Zum Beispiel nicht zu lachen, nicht mitzumachen, sondern vielleicht sogar das Wort zu erheben und zu sagen: Aus dem und dem Grund lache ich nicht mit, weil das hier eine Ausgrenzung ist!
Haben religiöse Menschen weniger Vorurteile?
Beate Küpper: Nein. Religion schützt nicht vor Vorurteilen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Studie haben sich als religiös oder nicht-religiös eingeschätzt und wurden dann über ihre Vorurteile gegenüber unterschiedlicher Gruppen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass lediglich Vorurteile über Obdachlose bei den Religiösen etwas geringer sind als bei nicht-religiösen. Homophobie und Sexismus waren hingegen bei den religiösen Befragten deutlich stärker vertreten und auch für ethnischen Rassismus zeigt sich dieses Muster. In meinem Vortrag habe ich Gordon Allport zitiert: „Religion führt zu Vorurteilen und sie wirkt gegen Vorurteile“.
Wie kann ich damit umgehen, wenn ich selbst von Vorurteilen betroffen bin?
Beate Küpper: Es ist ganz schwierig, ausgerechnet denjenigen, die selbst Adressaten und Adressatinnen von Vorurteilen sind, auch noch die Verantwortung zu geben, damit umzugehen. Wenn es Ihnen gelingt, hören Sie darüber hinweg. Wenn Sie den Mut und die Kraft haben, können Sie es aber auch ansprechen und sagen: Das verletzt mich. Das ist aber eine zwiespältige Sache, weil Sie dann bestätigen, unspaßig oder nervig zu sein. Aus dieser Falle kommen Sie nicht heraus.
Haben Sie noch einen speziellen Tipp für Betroffene?
Beate Küpper: Mein Tipp ist: Verbünden Sie sich und halten Sie zusammen. Denn wenn sich Gruppen, die mit Vorurteilen konfrontiert werden, zusammen tun, stellen sie schon fast die Mehrheit. Denn ganz viele Leute sind von Vorurteilen betroffen. Sei es, weil sie eine Behinderung haben, weil sie arbeitslos sind oder weil die Eltern aus einem anderen Land eingewandert sind.
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