Studientag
Mitgliederschwund erfordert "geistliches Maßhalten"
P. BerneckerOberkirchenrat Dr. Franz Grubauer präsentierte ausgewählte Statistiken aus der EKD-Studie zur Kirchenmitgliedschaft: "Wir müssen uns auch theologisch rüsten, um mit den demographischen Umwälzungen umzugehen."24.02.2015 pwb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
P. BerneckerProf. Dr. Peter Scherle ermunterte die Kirchenleitung, aus den statistischen Fakten theologisch gut begründete Konsequenzen zu ziehen.Dr. Franz Grubauer, Leiter des Referates Sozialforschung und Statistik der EKHN, präsentierte ausgewählte Zahlen und Statistiken. Die Verlaufskurve der Mitgliederzahlen geht alarmierend nach unten: So hatte die EKHN im Jahr 2013 genauso wenige Mitglieder wie im Jahr 1945. Nicht weniger dramatisch die Zahlen der Kindertaufen und Konfirmationen. Hier scheint der Abwärtstrend noch stärker. Was zunimmt, sind die Kirchenaustritte. Grubauer hob hervor, dass diese im jeweiligen historischen Kontext stünden. Eine Austrittswelle gab es in Nachwirkung der 68er-Bewegung. Auch nach der Wiedervereinigung kehrten viele Menschen der Kirche den Rücken zu.
Grubauer, der an der Konzeption und Durchführung der Studie maßgeblich beteiligt war, stellte aber auch einige Detail-Ergebnisse der Studie vor. Gespräche über Religion oder über den Sinn des Lebens finden hauptsächlich im familiären Umfeld statt, weniger im Kontakt zur Pfarrerin oder dem Pfarrer. Kontakt zu den Geistlichen haben die Mitglieder in erster Linie beim Gottesdienst und den Kasualien (Taufe, Konfirmation, Trauung, Bestattung). Für die innere Bindung mit der Kirche ist gleichwohl wichtig, die Pfarrerin oder den Pfarrer vor Ort zu kennen. „Kennen“ meint, ihn oder sie bei einem Schulanfängergottesdienst oder bei einer Beerdigung erlebt zu haben.
Welche Konsequenzen lassen sich aus den Daten für die kirchliche Praxis ziehen?
Professor Dr. Peter Scherle, Direktor des Theologischen Seminars Herborn, warnte in seinem Vortrag vor allzu schnellen Schlussfolgerungen aus dem vorgelegten Zahlenmaterial: "Neue Projekte und Aktionismus sind nicht die richtige Antwort". Gerade die klassischen Angebote wie Predigtgottesdienste erlauben eine "diskrete Teilnahme" und eignen sich daher gut, um Distanzierte, Zweifelnde oder Suchende zu erreichen. Besondere Gottesdienstformen hingegen seien "exklusiv" und sprächen in erster Linie die Kerngemeinde an.
Die Taufe unterliegt einem Bedeutungswandel
Bei der Taufe sei ein Wandel zu beobachten: Große Tauffeste an Seen oder Flüssen, die Taufen in der Stadionkapelle der Commerzbankarena seien beliebt und ziehen viele Menschen an.
Scherle mahnte eine theologische Diskussion an. Immer mehr Eltern wollten ihren Kindern keine Vorgaben in Sachen Religion machen. „Mein Kind soll einmal selbst entscheiden, ob es getauft werden will.“ An die Stelle der Taufe tritt dann, wie in einigen Freikirchen, eine Kindersegnung. Damit werde jedoch das Sakrament der Taufe abgewertet. Ob die Taufe wirkt, werde von dem „Ja“ des Täuflings abhängig gemacht. Damit würde die Taufe als "Gottes Gabe" abgewertet. Die EKHN müsse, so Scherle, einer "theologischen Selbst-Relativierung des Tauf-Sakraments innerhalb der Kirche entgegenwirken".
Mehr Kirchen mit Ausstrahlung und Anziehungskraft bauen
Hinsichtlich der schrumpfenden Mitgliederzahlen und der damit verbundenen geringer werdenden Einnahmen rief Scherle die Kirchenleitung dazu auf, bei Einsparmaßnahmen die Entscheidungen jeweils auch inhaltlich-theologisch zu begründen. Die Kirche müsse nicht an jedem Gebäude festhalten. Aber sie müsse sich bewusst sein, was eine Kirche als „ästhetisches Zeugnis des Glaubens“ für viele Menschen bedeutet. Mehr Kirchen mit Ausstrahlung und Anziehungskraft bauen, forderte Scherle provokant.
Begriff "Diaspora" als Denkhilfe
Die flächendeckende Dichte von Pfarrstellen könne vermutlich nicht aufrechterhalten werden. Scherle hält nichts davon, an der derzeitigen Zahl der Pfarrstellen festzuhalten und wegen Nachwuchsmangel viele lange Vakanzen hinzunehmen. Dann regiere der Zufall. Es gehe darum, dass es genügend Pfarrerinnen und Pfarrer in einer Region gibt als Ansprech- und Identifikationspersonen für Kirche. Nicht jedes Arbeitsfeld, in dem sich Kirche engagiere, sei dauerhaft zu halten. Schließlich müsse die Kirche auch ein "geistliches Maßhalten" einüben. Scherle findet den Begriff Diaspora hilfreich: Auch mit weniger Mitgliedern und weniger Mitteln könne Kirche wie „eingestreut“ (so die Übersetzung von Diaspora) in der Gesellschaft wirken.
Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung habe gezeigt, dass die Menschen das Evangelium in "gepflegten Kirchen" hören wollen. "Sie wünschen sich gute Kirchenmusik und Raum für Nachdenklichkeit. Sie erwarten auch von der Kirche, dass sie ihr Zeugnis durch diakonische Taten beglaubigt, die eine Kultur des Erbarmens sichtbar machen." Dies alles sei also "nichts Neues", so Scherle. Mehr Mut zum Weglassen und Mehr zum exemplarischen Handeln, dazu ermunterte Scherle die Kirchenleitung.
Was heißt „exemplarisches Handeln“?
In der anschließenden Diskussionen ging es ans Eingemachte: Was heißt „exemplarisches Handeln“? Die Hälfte der kirchlichen Kindergärten aufgeben und dafür in den verbleibenden Kitas evangelisch profilierte Erziehung anbieten - integrativ, pädagogisch wertvoll mit viel gut qualifiziertem und gut bezahltem Personal? Soll die Kirche stabilisiert werden oder „wollen wir eigentlich auch Mitglieder gewinnen“? Was Kirchengemeinden und Kirche insgesamt auch mal weglassen kann, darum ringt die Kirchensynode schon seit 20 Jahren. Wie kann die Synode da vorankommen? Kirchenpräsident Dr. Volker Jung formulierte diese offenen Fragen als Hausaufgaben für die Kirche: Weiterarbeit an der Zukunft des Pfarrdienstes, Entwicklung der kirchlichen Angebote für Familien und ein Kirchenbild, das Mitglieder ebenso wie Mitarbeitende motiviert.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken