Blog aus Italien - Teil 3
Mutmacher gegen Frauenhandel, Mafia und Co
bbiew17.10.2018 bbiew Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Möglicherweise, so mutmaßen die Flüchtlingsinitiativen, hat das mit „Mediterranea“ zu tun. So heißt ein neues Projekt, zu dem sich Nicht-Regierungsorganisationen – darunter die deutschen Seenotretter von Sea Watch – zusammengeschlossen haben. Nachdem die italienische Regierung den Seenotrettern untersagte, mit im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen italienische Häfen anzufahren, schickte „Mediterranea“ am 4. Oktober das Schiff Mare Jonio bis vor die libysche Küste.
Ein Schiff als Beobachtungsposten im Mittelmeer
Es sollte dort die Lage beobachten und Zeuge sein, was mit den Flüchtlingsbooten geschieht. Sollte die die Besatzung Flüchtlingsboote orten, wollte sie die Menschen nicht selbst aufnehmen, sondern die italienische Küstenwache benachrichtigen. Damit will „Mediterranea“ verhindern, dass die Geflüchteten nach Libyen zurückgeschickt werden. Gestern Abend legte die Mare Jonio, die unter italienischer Flagge segelt, im Hafen von Palermo an. Ihr Einsatz muss für den italienischen Innenminister Salvini, der eine Politik der strikten Abschottung gegenüber Flüchtlinge verfolgt, wie eine Provokation wirken. Deshalb der geballte Einsatz von Hubschraubern just zu dem Zeitpunkt als „Mediterrena“ zu einer Veranstaltung anlässlich des Zwischenstopps der Mare Jonio in die Begegnungsstätte „Molti Volti“ im Viertel Ballaro eingeladen hatte?
Sklavenarbeit
Während die Polizeihubschrauber über uns kreisen, treffen wir uns mit Aktiven verschiedener Initiativen. Eliana von der Anti-Mafia-Organisation LIBERA zeigt uns die Folgen auf, wenn Geflüchtete keinen Aufenthaltsstatus bekommen und in die Illegalität getrieben werden. „Die Mafia nutzt rechtlose Strukturen gnadenlos aus“, erklärt sie und verweist auf die Arbeit von Migranten in den süditalienischen Tomaten- und Gemüseplantagen, in denen sie mangels Alternative für vier Euro pro Tag schuften müssen. Moderne Sklavenarbeit im Europa des 21. Jahrhunderts!
Hotel ragazzi
„Wer sich für Menschen einsetzt, muss auch gegen bestimmte Worte kämpfen“, sagt uns Valeria vom Projekt HARRAGA. „Wir reden deshalb nicht von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge, sondern von ragazzi“. Zu den raggazzi (Deutsch: Die Jungen oder Jugendliche) zählen auch drei junge Menschen aus Nigeria und Guinea, die mit Unterstützung von HARRAGA möglicherweise bald finanziell auf eigenen Füßen stehen können. Der katholische Konvent Santa Chiara hat ihnen Zimmer zur Verfügung gestellt. Sie wurden zu einem Gästehaus umgebaut, das die drei raggazzi betreuen und managen. Ab sofort kann es gebucht werden. In den vergangen Wochen lief die erfolgreich verlaufenen Testphase, als sie Freunde in dem Gästehaus wohnen ließen.
Joy(ce) in der Schneiderei
Als die Ordensschwester Maria Theresa hört, dass mit Sabine Müller-Langsdorf eine Pfarrerin zur unserer Gruppe gehört, ist sie hin und weg. Und als sie erfährt, dass es sich um eine Pfarrerin für Friedensarbeit im Zentrum Oekumene handelt, ist sie völlig aus dem Häuschen. So können evangelische Pfarrerinnen katholische Nonnen begeistern. Maria Theresa war acht Jahre in Kamerun tätig, meinte aber, sie könne dort nicht bleiben, wenn jetzt so viele Menschen aus dem Land fliehen. So unterstützt sie Geflüchtete in Palermo. Sie führt uns in eine Schneiderei, in der Joyce aus Nigeria und andere geflüchtete Frauen aus Afrika Kleidung und Taschen herstellen. Joyce sagt, hier sei alles „joy“ (Freude) und besonders freut sie sich, als ihre Kollektion auf das Interesse einiger Hessinnen stößt.
Menschen ohne Rechte
„Rassismus ist eine Tatsache“, meint Pasqua de Candia vom Anti-Rassismus-Forum in Palermo. Ihre Organisation hatte ein so genanntes „Völkertribunal“ veranstaltet und zum Abschluss ein „Manifest gegen Rassismus“ verabschiedet. Bei dem Tribunal waren auch etliche Augenzeugen zu Wort gekommen, die über die Zustände in Libyen berichteten. Das Fazit von Pasqua de Candia: “Es gibt eine systematische Verletzung der Menschenrechte in den libyschen Flüchtlingslagern und auch auf dem Mittelmeer“.
Frauenhandel
Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Begegnungsreise dürfte der Atem gestockt haben, als Graziella Scalza von der Gruppe Pellegrino della Terra (Pilgerinnen der Erde) vom Frauenhandel berichtet. Insbesondere in Nigeria werden Frauen von Männern angesprochen, die ihnen die Heirat und ein gemeinsames Leben in Europa versprechen. Auf der Fluchtroute durch Westafrika bis nach Libyen werden sie von Etappe zu Etappe weitergereicht. In Italien angekommen landeten sie in der Zwangsprostitution. „Die Frauen werden immer jünger“, sagt uns Graziella, deren Organisation ein Büro am Bahnhof von Palermo hat und betroffene Frauen – so weit möglich - berät und betreut. Dort arbeiten auch zwei Nigerianerinnen.
Blog aus Italien
Unter dem Motto "Europa mit menschlichem Antlitz" befinden sich derzeit vierzehn ehrenamtlich und vier hauptamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit auf einer Begegnungsreise durch Sizilien. Die Fahrt haben das Zentrum Oekumene und die Diakonie Hessen organisiert. Das Ziel: Austausch und Vernetzung mit italienischen Flüchtlingsinitiativen.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken