Dekanat Rodgau

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    Corona

    New York leidet

    Renate HallerIn der evangelischen Kirche St. Pauls in Manhatten feiert derzeit niemand Gottesdienste.

    Nordamerika hat die höchste Zahl an Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Besonders schlimm ist die Situation in New York. Miriam Groß, Pfarrerin der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen St. Pauls-Kirche in New York, lebt seit sechs Jahren in der Stadt. Wie erlebt sie die Krise?

    privatMiriam Groß ist seit sechs Jahren Pfarrerin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in New York.

    Die flinken Hände meiner elfjährigen Tochter falten routiniert die frisch gelieferten Palmzweige. Mit jeder Bewegung formt sich langsam ein kleines Palmkreuz zwischen ihren Händen. Leise summt sie dazu mit einem verträumten Gesichtsausdruck den Kanon »Meine Hoffnung und meine Freude«, der an Jes. 12,2 angelehnt ist und in unserer deutschsprachigen New Yorker Gemeinde ein wichtiges liturgisches Element in der Kar- und Osterwoche darstellt.

    Liebgewordenes fehlt

    Plötzlich hält sie mitten in der Bewegung inne. »Mama, dieses Jahr können wir nicht mit anderen gemeinsam Ostern feiern.« Ihr Gesicht fällt merklich zusammen. Ich verstehe ihren Schmerz. An Palmsonntag war ihr in den letzten Jahren die Aufgabe zugefallen, unseren Gemeindemitgliedern während der Kaffeestunde beim Falten der kleinen Palmkreuze zu helfen und damit die Karwoche einläuten. Mit einem Schlag war ihr diese so liebgewonnene Tätigkeit genommen worden.

    Eines der größten Krisengebiete

    Ob Jung oder Alt: Die Pandemie hat unser gewohntes Leben wie in allen Ländern dieser Welt komplett auf den Kopf gestellt. Doch in New York kommt nun wie in China, Italien und Spanien eine bedrohliche Komponente hinzu: Die Megametropole hat sich in den letzten Tagen rasant zu einem der größten Krisengebiete entwickelt und mit ihr unsere kleine Gemeinde in Chelsea erfasst.


    Da viele unserer Mitglieder weit verstreut über die drei Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut verteilt wohnen, sind wir schon längere Zeit gezwungen, digitale Wege zu gehen: Für Vorbereitungen von Taufen und Trauungen wird schon länger eine digitale Meeting-Plattform genutzt. Auch die Kirchenratssitzungen sind aufgrund der weit voneinander entfernt lebenden Mitglieder oftmals digital.
     Die Diaspora-Situation unserer deutschsprachigen Gemeinde hat uns weiterhin zum Angebot eines digital stattfindenden Konfirmandenunterrichtes ermutigt. Daher traf uns die doch recht abrupte Umstellung auf eine komplett digitalisierte Gemeindearbeit nicht ganz so hart und führte zu einer Erweiterung um das Angebot eines Online-Gottesdienstes sowie regelmäßiger Abendandachten.

    New York ist gespenstisch verwandelt

    Mit dem Rückzug des gesellschaftlichen Lebens in den digitalen Raum geht eine fast gespenstische Verwandlung der Megametropole einher. Als ich vor fast sechs Jahren an den Big Apple zog, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Stadt, die angeblich niemals schläft, fast zum Ruhen kommt. Es ist ein wenig, als ob New York der Lebenspuls fast genommen wurde, denn diese Stadt lebt von dem bunten und vielfältigen Treiben. Das Virus zwingt nicht nur zu einem fast unnatürlichen Innehalten, sondern bringt mit der exponentiell steigenden Anzahl an Erkrankungen und Todesfällen eine noch nie dagewesene Verunsicherung mit sich.

    Schlimmer als der 11. September

    Viele Gemeindemitglieder äußern inzwischen, dass die Pandemie in ihren Auswirkungen schlimmer sei als der Terroranschlag vom 11. September. Man habe es hier nicht nur mit einem unsichtbaren Feind, sondern auch mit massiven finanziellen Auswirkungen zu tun. Diese betreffen vor allem die Ärmsten der Armen, wie illegale Immigranten, die am unteren Ende der kapitalistischen Pyramide umgehend ihre Arbeitsstelle verloren haben und um die bloße Existenz bangen. Aber mit der fortschreitenden Zeit breitet sich diese Sorge inzwischen auf die Mittelschicht aus. Laut New York Times (Stand 2. April) haben sich 6,6 Millionen Amerikaner arbeitslos gemeldet.

    Kapitalistisches System verstärkt die Auswirkungen

    Alle in den USA sind von den Auswirkungen der Pandemie betroffen, deren Härte durch das vorherrschende kapitalistische System ohne soziale Sicherungssysteme noch verstärkt wird. Noch kann ich nicht genau abschätzen, wie sich der Big Apple von dieser Katastrophe erholen wird. Doch wenn die New Yorker eine Stärke haben, dann ist es die Resilienz, das Zusammenstehen in der Not und das Festhalten an der Hoffnung auf bessere Tage.

    Auf Trauer wird Freude folgen

    Ein solches Hoffnungszeichen setzte ich nun mit meiner Tochter, während wir kleine Palmkreuze basteln und für unsere Senioren versandfertig machen. Sie werden dieses Symbol in der Kar- und Osterwoche verstehen. So wie Jesus durch das Tal des Kummers und Todes musste, so müssen wir New Yorker durch dieses dunkle Tal der Pandemie und ihrer Auswirkungen.
    Meine Tochter strahlt mich an und hält das letzte kleine Kreuz hoch während wir den Taizé-Kanon zu Ende singen. Die Kar- und Osterwoche zeigt uns deutlich, dass auf Trauer Freude und Jubel folgen wird. Möge dies uns Trost und Hoffnung zugleich sein.

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