Sehbehinderte und Blinde besuchen die Landesgartenschau in Gießen
Ohne Augenlicht die Schöpfung genießen
Brigitte Buchsein genießt die Schöpfung ohne Augenlicht Foto:Hartmann01.07.2014 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Gartenschau fühlen und riechen Foto:HartmannnDie Wirtschaftsingenieurin einer Versicherung hat sich einen Urlaubstag genommen. In einer Gruppe erlebt sie die Gartenschau und die LichtKirche in Gießen. Organisiert hat das die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, genauer die Sehbehinderten- und Blindenseelsorge.
Die „Mittagsgedanken“ an der LichtKirche trägt heute Brigitte Buchsein vor. Sie liest Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Viele denken, sagt sie in der Andacht, so muss es Blinden wohl gehen. Ja, ohne Augenlicht zu sein, sei manchmal bedrohlich. Doch an einem solchen Ort wie der Landesgartenschau werde auch sie von der Schöpfung erquickt und erfrischt, genau so wie es in der Bibel heißt.
"Ich sehe, was ich wahrnehme"
Brigitte Buchsein kann die Farben der Blumen nicht sehen. Die Gärten und Beete stellt sie sich vor, in dem sie die Wege geht oder sich die Struktur beschreiben lässt. Freude bereitet ihr die duftenden Blumen zu riechen, Früchte und Kräuter zu schmecken, die Vögel in den Bäumen zwitschern zu hören oder zufriedene Menschen auf den Wegen am Klang ihrer Stimmen zu erkennen. Brigitte Buchsein hat die lebensbejahende Einstellung: Ich sehe, was ich wahrnehme und nicht, was ich nicht habe und nicht sehe.
Die Gästeführerin muss die besuchten Orte genau beschreiben
Barbara Kuhn, Gästeführerin der Landesgartenschau, führt zum ersten Mal Blinde. Sie lotst die Gruppe durch die zahlreichen Kinder auf dem Gelände, die fröhlich kreuz und quer springen. Sie will ihre Gäste gerne an die Orte führen, die nicht nur visuelle Reize ausstrahlen. Beim Gärtnertreff etwa hängen duftende Blumen und Kräuter auf Kopfhöhe in Balkonkästen. Beim Landesverband der Kleingärtner können sie selten gewordene Gemüse ertasten und essbare Blüten kosten. Auf der Brücke am Neuen Teich weht ihnen Wasserdampf ins Gesicht, der aus den großen Kugeln auf dem Wasser ausströmt. Im sogenannten „Paradiesgarten“ lässt sich am Hall die Dimension dieses hohen, aber nach oben offenen Pavillons erahnen. Was Besucher dort mit bunter Kreide auf die Wände schreiben allerdings nicht. Und so muss die Gästeführerin ihrer Gruppe immer wieder genau beschreiben, was sich vor ihnen befindet. Erst im zweiten Schritt kann sie deuten, was Landschaftsarchitekten und Künstler ausdrücken wollen.
Blüten fühlen und Exponate berühren
Die Fülle der gestalteten Landschaft und verspielten Installationen präzise zu schildern ist gar nicht so einfach. Vor allem ist Barbara Kuhn darauf bedacht, einen sonst häufig gewählten Satz „Dort sehen sie …“ zu vermeiden. Brigitte Buchsein findet es nicht schlimm, wenn er doch mal rausrutscht. Sie hat auch schon viele Führungen erlebt, wo auf ihre besonderen Bedürfnisse als Nicht-Sehende gar keine Rücksicht genommen wird. Vor allem dauert die Führung etwas länger als bei Sehenden. Immer wieder beugt sie sich vor um die Blüten zu fühlen und zu riechen oder streicht mit der Hand über die Oberfläche der Exponate, um die Struktur und Form zu begreifen.
Grenzen für Blinde
An den „Molekulargärten“ stößt die Führung der rund 20-köpfigen Gruppe auch an ihre Grenzen. Die für Sehende faszinierenden, kreisrunden, mit verwinkelten Wegen angelegten, engen Gärten werden zum Nadelöhr für die Gruppe. Die Steinplatten am Japanischen Teehaus sogar zur Stolperfalle, denn in den breiten Fugen bleiben auch Blindenstöcke mal stecken. Brigitte Buchsein ist aktiv im Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen. Dort engagiert sie sich dafür, dass es im öffentlichen Raum viel mehr Orientierungshilfen gibt. Dass auf dem Gelände der Landesgartenschau Blinden keinerlei Leitsysteme oder Informationen in Blindenschrift geboten werden, darüber äußert sie heute aber keine Kritik. Jemand anderes vermutet, dass sich das für die Landesgartenschaugesellschaft wohl nicht gerechnet habe.
Am Ende des Rundgangs besucht die Gruppe eine Blumenschau im Gartenforum. Eine Rose riecht besonders intensiv. Brigitte Buchsein fragt nach der Farbe und sagt dann lächelnd: „Diesen Duft bewahre ich mir für die Heimfahrt.“
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