Interview
Theologin: „Luther besaß schon immer die Medienaufmerksamkeit“
Andreas Vitting/istockphotos.com23.11.2016 epd Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Der Buchmarkt wird gerade mit Luther-Büchern überschwemmt. Kann man über Luther überhaupt noch Neues sagen?
Athina Lexutt: Ich bin skeptisch gegenüber der Publikationsflut. Für die Menschen ist das eher verwirrend. Es gibt einerseits viele populärwissenschaftliche Darstellungen, die seit Jahrhunderten bestehende Verzerrungen weitertragen. Auf der anderen Seite gibt es hochwissenschaftliche Abhandlungen, die keiner liest. Forschungen über die Traditionen, in denen Luther stand, zum Beispiel die Vorläufer in der Mystik oder die vorreformatorischen Bewegungen, kommen zu kurz.
Das Reformationsjubiläum wird 2017 gefeiert wegen der Veröffentlichung der 95 Thesen im Jahr 1517, aber tatsächlich dreht sich alles um Luther. Warum ist das so?
Lexutt: Wir erleben einen Hype im Merchandising. Ich habe gerade Luther-Nudeln entdeckt: Martin Luther schwimmt in der Suppe. Es gibt Luther als Quietsche-Entchen und Luther-Krawatten. Das ist teilweise witzig, aber auch gruselig: Luther wird schon wieder auf einen Sockel gehoben. Er war eine faszinierende Persönlichkeit, die nicht so glatt ist - zum Beispiel durch die Kraft seiner Sprache, die aber auch vernichtend war. Das kriegen wir nicht zusammen, wir arbeiten uns an dem Kerl ab, obwohl etwa Calvin viel weiter gewirkt hat. Der Thesenanschlag, wenn er denn stattfand, hat sich ins kulturelle Gedächtnis gebrannt. Luther besaß immer die Medienaufmerksamkeit, auch damals schon.
Was halten Sie von den geplanten Aktivitäten zum Reformationsjubiläum?
Lexutt: Die Kirchen wissen gar nicht, was sie für Möglichkeiten mit dem Reformationsjubiläum haben. Wir sind aber bereits seit zehn Jahren an dem Thema dran, vielleicht sind hinterher alle froh, wenn es vorbei ist. Das Jubiläum ist ein Riesen-Event, weniger Aufwand wäre besser gewesen. Ich fürchte, dass in den Gemeinden selbst ein verkrampftes Interesse besteht. An vielen Gemeinden wird es spurlos vorüber gehen, andere stürzen sich auf bekannte Themen wie Luther und die Juden oder Luther und der Islam.
Was kann uns Martin Luther heute noch sagen?
Lexutt: Wir sollten Luther nicht einseitig als Rebellen und Papstgegner darstellen, sondern als jemanden, der sich nach innerer Gewissensruhe sehnte. Seine Theologie diente nicht dazu, dem Kaiser oder dem Papst die Macht streitig zu machen, sondern um den Menschen das Evangelium nahe zu bringen. Luther machte eigene Entdeckungen, die andere eben nicht machten.
Wir befinden uns derzeit in einer Bewegung, die Religion zur Privatsache erklärt und einer Beliebigkeit aussetzt, die Wohlgefühl auslösen soll. Religion ist aber etwas, was Schwierigkeiten macht. Bei Luther stand im Mittelpunkt: Wonach fragt der Mensch? Man kann das am Beispiel „Trauer aushalten“ oder „Trauer pflegen“ erklären. Luther sagt: Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen. Wir müssen den Tod als denjenigen erkennen, der nicht das letzte Wort hat. Das ist es, was die Menschen im Innersten bewegt.
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