Dekanat Rodgau

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    Antisemitismus

    Wie sicher ist jüdisches Leben in Deutschland?

    Esther StoschDavidstern am alten jüdischen Friedhof in Frankfurt

    „Keine Kippa in Problemvierteln tragen“ – das empfiehlt der Zentralrat der Juden. Sein Vorsitzender Josef Schuster beruft sich auf eine Studie zu steigenden antisemitischen Straftaten in Deutschland. Müssen sich deutsche Juden jetzt verstecken?

    Gerald Henseler/pixelio.deNur mit Kippa in die Synagoge

    Die Botschaft seiner Eröffnungsrede war deutlich: „bedrückend“ und „beschämend“ sei es, dass Juden in Deutschland überhaupt überlegen müssten, ihre religiösen Symbole in der Öffentlichkeit zu verstecken. Das sagte Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender und bayrischer Landesbischof, anlässlich der „Woche der Brüderlichkeit“ in Ludwigshafen, die am vergangenen Freitag begonnen hat. 
    In den letzten Wochen und Monaten waren Juden und ihre Institutionen ganz gezielt ins Visier radikaler Mitbürger gekommen, das haben die Terroranschläge auf einen jüdischen Supermarkt in Paris, die Schändung eines jüdischen Friedhofs im Elsass und der Anschlag auf ein Kopenhagener Gemeindehaus gezeigt. Auf diese Serie von Anschlägen hatte auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu reagiert und alle europäischen Juden zur Einwanderung nach Israel eingeladen. Nur dort sei es noch möglich, ihren Glaubens und ihre Kultur noch offen zu leben. Kommentatoren sind sich einig, dass dies vor allem ein wahltaktisches Manöver vor den Parlamentswahlen am 17. März war. Netanjahu hofft dort auf die Bestätigung seiner Politik. 

    Ein bedenklicher Normalzustand

    Beleidigungen, Drohungen und eine Vielzahl kleinerer Delikte erschweren auch in Deutschland das jüdische Leben. Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählte im vergangenen Jahr 1076 solcher Fälle, die der Polizei angezeigt wurden. Im Jahr zuvor waren es 788. Schon seit Jahren werden Synagogen und speziell jüdische Gottesdienste aus Sicherheitsgründen bewacht, auch in Hessen. Manfred de Vries, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bad Nauheim, berichtet: „Unser Rabbiner ist ein konservativer Mann. Man sieht an seiner Kleidung, dass er Jude ist. Wenn er in seinem Gewand auf der Straße läuft, kann es schon vorkommen, dass er bespuckt wird.“ 

    Solche Erfahrung machen Juden auch in anderen Städten. Wer Zeichen seines Glaubens öffentlich trägt, zum Beispiel die Kippa der Männer, kann zum Ziel von Beschimpfungen werden. Solche Erfahrungen deutscher Juden brachten Josef Schuster dazu, über ein neues Verhältnis zur Öffentlichkeit nachzudenken. Jüdische Männer sollten erwägen, ihre Kippa in sogenannten „Problemvierteln“ (Vierteln mit hohem muslimischen Anteil und sozialen Spannungen, Anm. d. Red.) zu verstecken. In dieselbe Richtung wie Schuster geht „jüdisches berlin“, die Gemeindezeitung der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland. Die Zeitung soll nach wiederholten Vorfällen gegenüber Gemeindegliedern nur noch in einer neutralen Hülle versandt werden. Wiederholt war es zu Vorfällen zwischen den jüdischen Beziehern des Magazins und ihren Nachbarn gekommen.

    Dass auf die öffentliche Sichtbarkeit des Judentums in der Gesellschaft verzichtet wird, damit das Judentum überdauern kann, ist eine Entwicklung, die einer liberalen und demokratischen Gesellschaft Sorgen bereiten muss. Denn das bedeutete, unsichtbar zu werden und unkenntlich zu werden – genau das, was die Verfolger beabsichtigt haben. 

    Ein neuer Antisemitismus?

    Wie Gemeindevorsteher de Vries aus Bad Nauheim und Experten sagen, kommen die Täter nicht mehr ausschließlich aus dem rechtsradikalen Milieu. Häufig sind es heutzutage muslimische Menschen, gerade aus dem arabischen Raum. Der seit Jahrzehnten ungelöste Nahostkonflikt bildet sich dann auch in Deutschland ab. Das wurde besonders deutlich in den Demonstrationen gegen den Gazakrieg im vergangenen Jahr. Neben gewaltlosem und stummem Protest kam es zu deutlich antisemitischen Parolen und Übergriffen gegen deutsche Juden. Dass sich auch gebildete Muslime und Christen nicht immer eindeutig von diesen Parolen distanzieren konnten, sorgte auch im Gebiet der EKHN für Streit zwischen Vertretern der Religionsgruppen. 

    „Wir bleiben hier“

    Gemeindevorsteher de Vries sagt trotzdem: Konkrete Ängste um Leib und Leben gibt es in der Bad Nauheimer Gemeinde nicht. Viele Gemeindeglieder sind vor allem aus der ehemaligen UdSSR eingewandert. Auch dort seien sie Verfolgungen und Ausgrenzungen ausgesetzt gewesen. Deshalb sei für die meisten Gemeindeglieder eine Ausreise aus Deutschland auch kein Thema. 

    Ihn bestärkt, dass der deutsche Staat sich aktiv für die Erhaltung des jüdischen Lebens in der Wetterau und anderswo einsetzt. In den vergangenen Jahren konnten Synagogen nach historischem Vorbild restauriert werden. Und sie werden bewacht, von deutschen Sicherheitsbehörden. Außerdem können die jüdischen Gemeinden ihre Rabbiner seit 15 Jahren wieder in Deutschland ausbilden. De Vries betont: „Wir gehören dieser Gesellschaft an, wir haben das Privileg, hier Staatsbürger zu sein und das bleiben wir auch.“

    Der ‚abrahamische Dialog‘ in der EKHN

    Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau will Zeichen setzen, damit das auch so bleibt. Christlich-jüdische Dialogarbeit in Form von Fortbildungen und Gesprächen soll Vorurteile abbauen. Ein deutliches Zeichen ist sicherlich die Erklärung der EKHN-Synode im Herbst 2014 zu Martin Luthers antisemitischen Schriften. Luther hatte vor allem in seinen späten Schriften zum Mord und zur Verfolgung von Juden aufgerufen. Die EKHN distanzierte sich nun deutlich von dieser antisemitischen Position.

    Laut Pfarrerin Susanna Faust-Kallenberg vom Zentrum Ökumene ist eine zweite Haltung mindestens genau so wichtig: Empathie. Sich dafür zu interessieren, was eine andere Religionsgemeinschaft beschäftigt und bedrückt, das sei Aufgabe sogenannter „Runder Tische“, die einen regelmäßigen Austausch fördern. Hier entscheiden die christlichen Kirchen mit Vertretern muslimischer und jüdischer  Gemeinden im sogenannten ‚abrahamischen Dialog‘, welche „Unterstützung hilfreich sein könnte und welche Solidaritätsbekundungen Sinn machen“. Gemeinsam müsse auch beraten werden, inwiefern eine Kritik an der Politik Israels möglich sein kann ohne gleichzeitig in die sogenannte ‚Antisemitismus-Falle‘ zu tappen.

    Faust-Kallenberg weiter: „Unsere Aufgabe als Kirche sehe ich darin, Plattformen zu schaffen, auf denen solche Diskussionen möglich sind. Wir haben außerdem eine Verpflichtung, uns für Frieden im Nah-Ost-Konflikt vor Ort einzusetzen, indem wir Friedensinitiativen wie z.B. die Rabbiner für Menschenrecht unterstützen und Dialogfahrten nach Israel und Palästina organisieren.“

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