Alltag einer Pfarrerin in Corona-Zeiten
Eine Pfarrerin im Kreuz-Verhör
bonNadine Bongard von der Fachstelle für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Dekanat Westerwald (rechts) interviewt die Höchstenbacher Pfarrerin Elisabeth Huhn coronasicher digital übers Laptop.16.04.2020 shgo Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Haben Sie als Pfarrerin eher mehr oder weniger zu tun als vor dem Lockdown?
Elisabeth Huhn: Die Arbeit hat sich verändert, ist aber nicht unbedingt weniger geworden. Natürlich fallen lange Vorbereitungszeiten für Schulstunden, Gottesdienste und andere Veranstaltungen weg. Aber anderseits erlebe ich die Zeit als intensiv, was meine Seelsorgetätigkeit angeht. Täglich rufen Menschen an, die sich emotional oder sozial in einer schwierigen Lage befinden. Oder ich selbst rufe an - vor allem Alleinstehende und Senioren und Seniorinnen.
Hatten Sie schon Beerdigungen?
Elisabeth Huhn: Ja, und das ist echt schlimm, denn wenn hier auf dem Land nur die engsten Angehörigen kommen dürfen und nicht, wie sonst üblich, das halbe Dorf, dann ist es, als ob die Lebensleistung des Verstorbenen gar nicht gewürdigt wird. Das schmerzt.
Wie einschneidend ist die Krise?
Elisabeth Huhn: Die Kanzlerin hat in ihrer Ansprache gesagt, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg kein derartig einschneidendes Ereignis mehr gegeben hat. Anders als bei 9/11 oder der Finanzkrise bricht die Coronakrise in all unsere Lebensbereiche ein. Sie kommt uns ganz nah. Es erinnert an die Schilderungen von mittelalterlichen Pestereignissen, wo Menschen einfach hingerafft wurden.
Steckt in der Krise eine Chance?
Elisabeth Huhn: Ich glaube schon, dass bei vielen ein Umdenken stattfindet. Wir fragen uns: Was ist wirklich wichtig? Erfreulicherweise verlieren die Populisten auf der politischen Bühne gerade an Zulauf, dafür haben wir eine breite Zustimmung für die Parteien der Mitte, die zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. Wir lernen, dass Pflegekräfte und Supermarktangestellte wichtig für uns sind und auch monetär mehr wertgeschätzt werden sollten.
Werden nach der Krise mehr Menschen in die Kirche kommen?
Elisabeth Huhn: Ich denke nicht. Als gebürtige Sächsin vergleiche ich das mal mit der Situation in der Wendezeit. Die Kirchen waren damals voll und hatten ja mit den Montagsgebeten und der Friedensbewegung einen wesentlichen Anteil an den Ereignissen 1989. Und trotzdem hatten sie nach der Wende auch unter Mitgliederschwund zu leiden. Ich denke, trotz weniger Besucher in den Sonntagsmorgengottesdiensten sind die allermeisten Menschen gläubig. Kirche sollte meiner Meinung nach da stattfinden, wo die Leute sind: Die Pfarrerin, die den Kirmesgottesdienst hält oder bei großen Familienfesten, bei wichtigen Lebensereignissen wie Hochzeit, Taufe, Jubiläum dabei ist. Der geistliche Beistand in Krisensituationen oder am Lebensende - das sind Orte, wo Kirche hingehört. Die Gottesbeziehung des Einzelnen und die Gemeinschaft untereinander ist das, was zählt, nicht volle Gebäude.
Ist Corona eine biblische Plage, ein göttlicher Denkzettel?
Elisabeth Huhn (lacht): Neulich fragte mich jemand: „Erst die Heuschreckenplage in Afrika und jetzt Corona - ist das vielleicht die Apokalypse? Nein, das passt nicht zu meinem Gottesbild. Ich denke nicht, dass wir Menschen an irgendwelchen Naturereignissen Gottes Vorhaben ablesen können. Gott ist Gott und denkt in anderen Dimensionen als wir Menschen. Er folgt nicht unserer Menschenlogik. Und er ist kein strafender Gott. Da bin ich bei Luther - wir sitzen in der Grube und der gnädige Gott zieht uns raus. Gott liebt uns. Er sagt: Du bist zwar doof und baust Scheiß, aber ich hab dich trotzdem lieb. Deshalb: Nee, kein strafender Gott und auch keine Apokalypse.
Nützt Beten etwas?
Elisabeth Huhn: Also, ich glaub nicht, dass Beten so funktioniert wie Online-Petitionen - wenn 1 Million Leute gegen das Virus gebetet haben, lässt Gott es wieder verschwinden, oder so. Gebet ist doch der Ausdruck meiner Beziehung zu Gott. Gottes Wege sind nicht begreifbar und oft stehen wir auch als Gläubige daneben, wenn zum Beispiel jemand plötzlich stirbt und wir können es nicht verstehen. Manchmal wird Gottes Wirken im Nachhinein merkbar, manchmal aber auch nicht. Gebet ist auch Abgeben von seelischen Lasten an Gott. Und natürlich Dankbarkeit.
Was bringt die Krise für die Klimawende?
Elisabeth Huhn: Im ersten Quartal gab es einen erfreulichen Rückgang der CO2- Emission! Keine Ahnung, ob das letztlich viel bringt… An der Krise sehen wir aber, dass Homeoffice in vielen Fällen möglich ist. Das Dekanat könnte vielleicht für kurze Besprechungen Videokonferenzen einsetzen, dann würde man viel Sprit und Zeit sparen. Ich habe die Hoffnung, dass nach der Krise Betriebe mit guten, klimafreundlichen Ideen einen Aufschwung erleben werden.
Wird Kirche auch nach der Krise mehr im digitalen Raum stattfinden?
Elisabeth Huhn: Kirche soll dahin gehen, wo die Leute sind, also auch ins Netz. Zum Thema Social Media: ich mache im Moment nicht mehr und nicht weniger Facebook und Instagram als vorher. Manchmal kamen schon ältere Gemeindeglieder zu mir und erzählten, dass ihre Enkelkinder ihnen auf dem Smartphone gezeigt haben, was die Pfarrerin Schönes gepostet hat. Das freut mich! Neue Medien brauchen neue, elementarisierte Formen, denn analoge Formate sind nicht Eins zu eins ins Netz übertragbar. So sollte zum Beispiel eine Predigt auf Youtube am besten nur einen einzigen Kerngedanken transportieren. Ein Insta-Post darf nur wenige Worte zeigen. Für digitalen Content gilt: ansprechend, kurz und griffig. Grundsätzlich ist aber die persönliche Begegnung mit Menschen nicht ersetzbar. Freuen wir uns auf das Danach, wenn persönliches Beisammensein wieder möglich sein wird.
Das Interview führte Nadine Bongard.
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