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Seelsorger im Alltag
AL Quarfoth/istockphoto.comOffene Ohren für Sorgen, Nöte und Zwischenmenschliches mitten im Alltag15.05.2012 tw Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Wer beim Frankfurter Friseur Michael Doppel auf dem Stuhl sitzt, wird nicht nur Haare, sondern auch seine Sorgen los. Seine Kunden erzählen dem freundlichen Mann mit den hochgestellten Haaren und der Designerbrille alles: „Da geht es um Beziehungsprobleme wie `meine Freundin hat mich mit meinem Freund betrogen´, aber auch um Kurioses wie Schrebergärtner, die dem Nachbarn nachts die Tomaten abbrechen.“ Doppel erkennt, wenn es seinen Kunden schlecht geht: „Wenn eine Kundin kommt mit ganz langem Haar und zeigt mir ein Bild mit einem Irokesen und will die Haare ganz kurz, dann frage ich mal: ‚Was ist passiert? Hast du dich getrennt?’ Oftmals kommt dann ein Schmunzeln und es wird bestätigt.“
Innere Distanz schafft Vertrauen
Bei der nächtlichen Taxifahrt nachhause, beim Cocktailschlürfen in der Bar: Hier plaudern wir gerne über intime Probleme. Aber warum erfahren Taxifahrer und Co so viel über mich? Barkeeper Daniel Delrue aus Wiesbaden weiß, warum ihm seine Gäste bei einem Wein oder Bier ihr Herz ausschütten: „Weil es Menschen sind, die einem trotz der Vertrautheit nicht nahe stehen, wo man sich nicht schämen muss. Sobald man die Bar verlässt, sind diese Menschen weg. Wenn ich das meinem Freund oder meiner guten Freundin erzähle, dann ist das angesprochene Problem immer wieder da.“
Sorgentelefon Taxiruf
Andreas Rutzenhofer ist so ein Mann, der Vertrauen erweckt. Seit 30 Jahren fährt er Taxi in Frankfurt: „Als ich noch nachts gefahren bin, da kam das öfter vor.“, sagt der braungebrannte Taxifahrer mit den weißen Haaren, „Da hatten die Leute auch oft schon was getrunken, das löst ja die Zunge und dann fließen auch manchmal Tränen.“ Rutzenhöfer hört seinen Fahrgästen zu, das hilft vielen schon: „Das sind dann oft Beziehungsgeschichten oder auch Leute, die dann sagen: ‚Ich weiß jetzt gar nicht, wo ich hin soll’. Ich bin ja kein geschulter Psychologe oder Seelsorger, ich kann mir einfach nur Mühe geben, den Leuten ein gutes Gefühl zu geben.“ Mit dieser Strategie fährt der erfahrene Taxifahrer gut, denn oft fragen seine Gäste nach seinem Visitenkärtchen, um ihn wieder anzurufen.
Der Barkeeper als Taufpate
Aber ist das wirklich gut? Kann mir der Taxifahrer helfen? Sollte sich mein Friseur nicht lieber um meine Geheimratsecken kümmern, als um meine Sorgen? „Nein!“, sagt Psychologe Wolfgang Schröder vom evangelischen Zentrum für Beratung in Frankfurt-Höchst: „Es ist gut, dass es uns gibt, aber es ist gut, dass es auch diese Alltagsberatung gibt. Die Ressourcen im Freundeskreis, im Kollegenkreis nicht als Konkurrenz zu erleben, sondern als Hilfe, das ist uns ein Anliegen.“
Es ist also gut, wenn der Barkeeper meine Probleme mal nüchtern betrachtet. Daniel Delrue aus Wiesbaden macht das sehr gerne und auch ziemlich gut. Er hat sogar schon mal Gäste in seiner Bar verkuppelt: „Da hab ich ihr gesagt: ‚Der hat sich letztens doch durchaus positiv über dich geäußert’. Ihm habe ich gesagt: ‚Na ja, ich habe so den Eindruck, als ob die einfach mal erwartet, dass du zu ihr gehst und mal hallo sagst. Und das ist dann an dem Abend auch direkt passiert und dann hat es direkt gekracht.“ Mittlerweile haben die beiden Gäste ein gemeinsames Kind, Barkeeper Delrue sollte sogar Taufpate werden.
Wenn der Barkeeper zum Taufpaten wird, der Taxiruf zum Sorgentelefon und der Friseur meinen Problemen den Kopf wäscht, dann ist das gelebte Nächstenliebe – Seelsorge im Alltag.
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In der Serie "good news" wirft unsere Redaktion einen Blick auf Projekte, die auch außerhalb der evangelischen Kirche umgesetzt werden. Denn wir finden: Es gibt so viele fantastische Aktionen von bisher unbekannten Heldinnen und Helden des Alltags, die die goldene Regel mit Leben füllen. Die goldene Regel sagt: „Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest“.
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