Nachhaltigkeit
Tausche Schlagerkassette gegen Taucherflosse
Charlotte MattesEin Wellblechdach und ein Plastik-Vorhang machen die Tauschbox wetterfest17.06.2014 cm Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Keine zwei Minuten vergehen, bis die erste Passantin ein Buch in das oberste Regal der Tauschbox stellt. „Das ist ein Buch von meiner Tochter, das ich nicht kenne und deshalb dachte ich mir: Ab in die Tauschbox.“ Ihre Tochter wohnt nicht mehr in Wiesbaden und braucht die alten Gegenstände nicht mehr. Deshalb hat die Mutter auch schon alten Indianer-Schmuck der Tochter reingelegt: „Kettchen und Ohrringe und innerhalb einer Stunde war alles weg“, sagt sie begeistert. Auch Annemarie Ritter legt häufig etwas in das gelbe Regal: „Ich habe Tischdecken, T-Shirts, Bowle-Gläser und Baumschmuck an Weihnachten reingelegt. Es war alles fort. Dann freu‘ ich mich“. Kaum winkt sie zur Verabschiedung - legt eine Frau ein Milchkännchen, Zuckerdöschen und eine passende Tasse aus Porzellan in das Regal.
Tauschbox ist keine fünf Minuten von Lutherkirche entfernt
Ein bisschen versteckt steht das gelb bemalte Regal in der Wiesbadener Scheffelstraße. In gelben Schriftzügen steht fett „Tauschbox“ vorne drauf. Von der Wiesbadener Lutherkirche aus kann sie in weniger als fünf Gehminuten erreicht werden. Die Tauschbox ist wie ein Mini-Kleiderschrank aufgebaut. Auf der linken Seite ist eine Kleiderstange angebracht. Da hängen eine sorgfältig gefaltete Hose, ein kariertes Hemd und eine weiche, dunkle Filz-Jacke drin. Rechts auf den drei Regalbrettern reihen sich Bücher, Zeitschriften und Spiele.
„Ich bin immer dabei“
Eine Frau läuft schnellen Schrittes geradewegs zur Tauschbox. Sie schaut sich alle Kleidungsstücke in rasantem Tempo an. Ihr Blick prüft die Qualität der Kleidung. Heute ist nichts für sie dabei aber sie hatte schon häufig Glück: „Eine Hose für meinen Mann, eine Bluse für mich – ich bin immer dabei“, ruft sie beim Davongehen. Jan hat sich die Tauschbox zum ersten Mal angeschaut, auch wenn die Kleidung zu klein für ihn ist, die Idee gefällt ihm: „Dinge, die man nicht mehr braucht, werden üblicherweise weggeschmissen, also warum nicht tauschen“. Die Tauschbox „bringt Menschen zusammen“, beobachtet Anwohnerin Dorothee Legeland.
„Das war ein Clown und der sah echt fies aus“
Die Auswahl ist groß und „die Nachfrage total unterschiedlich“, erklärt Mitgründerin der Tauschbox Ronja Scheidel. Da steht zum Beispiel die „Die Kunst, jünger auszusehen“ neben einer Zeitschrift über hessische Wälder. Im untersten Fach liegen die verschiedensten Sachen: von Taucherflossen über Schuhe bis zum Wassersprudler. Die Tauschbox ist wie eine kleine Schatzkiste und fast alles was darin liegt, ist schnell weg.
Küchengeräte und Kleidung sind der Renner
Vor allem wenn gut erhaltene Kleidung, Freizeitgegenstände wie Inline-Skates oder Küchengeräte in dem Regal sind. Aber es gibt auch „Ladenhüter“ wie Video-Kassetten und auch außergewöhnliche Dinge wandern in die Tauschbox. „Da war so eine Marionette drin, das war ein Clown und der sah echt fies aus, da dachte ich mir da erschreckt man sich ja eher“, aber Scheidel kam am nächsten Morgen und die Marionette war weg – eingetauscht.
Drei Studentinnen hatten die Idee zur Tauschbox
Die Tauschbox gibt es jetzt schon seit über einem Jahr. Am 23. April 2014 hatte sie ihren ersten Geburtstag. Sie ist Teil des Bachelor-Projekts von Ronja Scheidel, Judith Pustet und Christina Wörner. Die drei Kommunikationsdesign-Studentinnen hatten die Tauschbox nur als „Pilotprojekt“, für drei Monate geplant, erklärt Scheidel. Doch es lief so gut, dass sie nun ein fester Bestandteil des Wiesbadener Dichterviertels ist.
Hausgemeinschaft macht Tauschbox möglich
Anfangs hatten die Studentinnen Schwierigkeiten, einen geeigneten Platz für die Tauschbox zu finden, aus Haftungs- und Versicherungsgründen. Doch dann haben sie Bekannte in einer Hausgemeinschaft angefragt und stießen auf Begeisterung. Weil die Tauschbox dort auf Privatgrund steht, müsse die Stadt nicht haften, falls es zu Problemen käme. Die Stadt hatte Bedenken, dass zu viel Müll abgelagert werden würde, die Tauschbox nicht schön aussehe oder dass sie nicht genutzt würde, erläutert Scheidel. „Wir können zum Glück das Gegenteil beweisen“, sagt Scheidel vergnügt.
Anwohner halten Tauschbox sauber
Claudia Schmitz schiebt den Plastik-Vorhang zur Seite „Es ist doch immer etwas durcheinander, schmunzelt sie. Schmitz macht Ordnung in der knallgelben Tauschbox. Zweimal täglich schaut die Anwohnerin nach dem Rechten: „Ich mache das, damit die Leute besser dran kommen und es ein bisschen schöner aussieht - und das macht auch Spaß“, wirft Schmitz ein. Ihre Nachbarin Legeland hilft auch tatkräftig mit, kaputte oder verderbliche Dinge auszuräumen. „Teilen ist ein Gewinn“, findet sie. Außerdem findet sie „den Kreislauf der Dinge schön und das so die Nachhaltigkeit bewahrt wird“. Gemeinsam mit ihrem Mann Josef haben die drei Studentinnen die Box an einem Nachmittag aufgebaut. Dorothee Legeland kann sich das Dichterviertel ohne das bunt gefüllte Regal gar nicht mehr vorstellen: „Was wären wir ohne Tauschbox?“
good news
In der Serie „good news“ wirft unsere Redaktion einen Blick auf Projekte, die auch außerhalb der evangelischen Kirche umgesetzt werden. Denn wir finden: Es gibt so viele fantastische Aktionen von bisher unbekannten Heldinnen und Helden des Alltags, die die goldene Regel mit Leben füllen. Die goldene Regel sagt: „Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.“
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken