Vom Traumjob in die Glaubenskrise
Wenn Arbeit krank macht
privatAndreas Heidrich23.11.2017 cm Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Ich wusste schon mit 14, dass ich Pfarrer werden möchte“, sagt Pfarrer Andreas Heidrich. Der gebürtige Wiesbadener ist in einer Familie groß geworden, die wenig Bezug zu Gott hatte. Doch die Bergkirche in Wiesbaden gibt ihm diesen Zugang. Er wird Pfarrer. Alles läuft gut für den engagierten Pfarrer. Doch 2014 kommt sein Tiefschlag – auf seiner Stelle in Bad Soden läuft nichts mehr. Der 52-Jährige zweifelt an sich und seinem Glauben an Gott. Heute geht es Pfarrer Heidrich wieder gut, er arbeitet ruhiger und macht mehr Pausen. Wie es ihm in seinem Tief ging und was ihm Kraft gegeben hat, erzählt er im Interview mit Redakteurin Charlotte Mattes.
Herr Heidrich, was waren Signale, die Ihnen vor drei Jahren gezeigt haben: Es geht nicht mehr?
Andreas Heidrich: Ich war ein hochmotivierter Pfarrer und auf einmal dachte ich ‚Muss ich da hingehen oder anrufen?‘ - Das waren so die ersten Signale. Und Schlaflosigkeit, ich lag morgens ab fünf Uhr wach und wurde nachts erst um ein Uhr müde. Außerdem hatte ich Anflüge von Lustlosigkeit, Kopfweh, Magen-Darm-Geschichten und ich hatte gar keinen gesunden Appetit mehr. Ich hatte das Gefühl, ich kann überhaupt nichts mehr leisten, bin total gescheitert an den Anforderungen, die mein Beruf und ich selbst an mich gestellt haben. Und das hat mich herunter gezogen. Den Druck habe ich mir selbst eingeredet.
Gab es eine Situation, die für Sie besonders prägend war?
Andreas Heidrich: Ja, das war in der Adventszeit damals. Ich war auf der Kanzel und hatte das Gefühl: Es ist alles Quatsch, was du hier sagst und überhaupt nichts Besonderes. Ich hatte bei Gottesdiensten und Beerdigungen das Gefühl, ich erzähle was vom Bären, das niemanden trösten kann. Ich war so verzweifelt, dass ich mich auf den Boden geworfen und gerufen habe: ‚Gott was willst du eigentlich von mir?‘ Ich war am Limit und hatte das Gefühl, Gott lässt mich allein und schützt mich nicht. Und er schickt mir auch niemanden, der mir hilft. Ich fand keinen Trost in der Bibel. Es war wie eine Wand zwischen mir und Gott. Zum ersten Mal.
Der Auslöser, dass Sie zum Arzt gegangen sind, war Ihre Frau. Wie lief das genau ab?
Andreas Heidrich: Da war es schon so, dass ich mich nicht mehr wohl fühlte. Ich hatte ziemlich abgenommen und meine Frau sagte zu mir, wir gehen jetzt zum Arzt. Als ich dort war, sagte er: ‚Sie haben eine Depression oder ein Burnout, das werden wir sehen, wenn Sie in die Klinik kommen.‘ Ich habe dann gesagt: ‚Ich gehe doch in keine Klinik, ich bin doch nicht wahnsinnig.‘ Und er erwiderte: ‚Nein wahnsinnig sind Sie nicht, aber Sie sind krank und diese Klinik wird Ihnen helfen‘. Das war für mich sehr schwer. Bevor ich in die Klinik kam, hatte ich das Gefühl im Glauben gescheitert zu sein.
Sie haben sich aber dafür entschieden in die Klinik zugehen, wie waren diese acht Wochen für Sie?
Andreas Heidrich: Schwierig war für mich die Vorstellung, eine Tablette nehmen zu müssen, damit es mir gut geht. Denn ich dachte, wenn ich an Gott glaube und auch eigentlich gesund bin, dann muss ich doch keine Tablette nehmen. Was mir da geholfen hat, war der Satz meiner Schwester. Sie sagte: ‚Du bist wie eine Blume und kriegst jetzt deinen Dünger‘. Es hat mir sehr geholfen in der Klinik in der Bibel zu lesen. Paulus, zum Beispiel, hatte viele schwierige Situationen, auch depressive Phasen. Und darin habe ich mich teilweise wiedergefunden. Paulus sagt an einer Stelle: ‚Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, das Böse, das ich nicht will, das tue ich‘. Das ist stark, weil er hier über seine eigenen Unfähigkeiten reflektiert. Meine Familie hat mich sehr gestützt. Ich wollte ein Vorzeige-Papa sein, ein super Ehemann, aber das funktionierte alles nicht. Es hat mich sehr berührt, wie unsere Tochter gesagt hat: ‚Papa das wird schon wieder!‘ Diese selbstlose Liebe und Unterstützung hat mich sehr berührt. Auch meine Frau hat gesagt: ‚Jetzt bist du halt erstmal hier, aber wenn du wiederkommst, wird alles wieder werden, wie es war.‘ – Das hat mir sehr geholfen.
Wie lief denn ein Tag als Pfarrer bei Ihnen ab – vor dem Zusammenbruch?
Andreas Heidrich: Ich habe zwischen 60 und 70 Stunden pro Woche gearbeitet. Ich wollte immer alles jetzt unbedingt erledigen. Ein Tag konnte so verlaufen: Erstmal war ich im Gemeindebüro. Dann kam jemand, der ein seelsorgerisches Gespräch benötigte. Dann habe ich in der Schule unterrichtet. Da kam es auch immer darauf an, wie es den Kindern und Jugendlichen ging. Dann ging es zu einem Geburtstagsbesuch, da war dann alles wunderbar. Aber dann habe ich jemanden besucht, der alleine ist und um ein Gespräch bittet. Was jeder vom Pfarrer erwartet ist Empathie; also wir sollen uns einfühlen. Ich höre oft, dass ich das gut kann. Denn viele freuen sich, wenn ich Zeit hatte und Ihnen mal zugehört habe. Aber es führt auch zu einer Belastung, wenn man nicht auf sich selbst achtet. Wenn ich eine Beerdigung von einer 40-jährigen Mutter hatte, dann geht das auch an die Substanz. Ich hatte zwar Supervision, aber da war weniger die Frage ‚Wie geht es dir denn eigentlich selbst?‘
Sie haben Ihre Krise überwunden - Was machen Sie heute anders?
Andreas Heidrich: Was ich gelernt habe, ist als Pfarrer auch mal zu schweigen oder nur kurz etwas anzutippen. Außerdem ist es sehr wichtig, Grenzen zu ziehen, weil man sonst die eigenen Kraftquellen nicht mehr aufsuchen kann. Richtig Pause machen. Wir wohnen zum Glück so, dass ich in den Park schauen und mich an den bunten Bäumen erfreuen kann. Ich mache auch mal die Augen für eine Weile zu und höre einfach Musik. Das sind Dinge, die für das eigene Leben wichtig sind, wo man drauf achten muss, dass man diese pflegt.
Warum denken Sie, dass es als Pfarrer ein Tabuthema ist, über Arbeitsbelastung zu sprechen?
Andreas Heidrich: Meiner Meinung nach ist jede Pfarrerin und jeder Pfarrer in der Gefahr, glänzen zu wollen. Denn bei vielen, gerade städtischen Gemeinden, zählt die Außenwirkung. Man kommt in eine Konkurrenz, weil zum Beispiel die eine Gemeinde in der Zeitung stand und die eigene nicht. Ich glaube, dass es immer noch ein Makel ist, wenn man sagt: ‚Ich habe das nicht hingekriegt‘. Ich kann andere Leute ermutigen, darüber zu sprechen!
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