975 Jahre Stadtkirche Haiger
Die „verschwundene Freske“ bleibt frei
Ralf Triesch03.09.2023 hjb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
VON RALF TRIESCH
„Alle, die sich die 15 Bilder des Zyklus‘ angeschaut haben, haben in ihrem Kopf auch eine Vorstellung vom 16. Bild, in dem es um die Auferstehung geht“, sagt die Bensheimer Künstlerin Judith Spang. Aus diesem Grund hatte sie die Idee, die „verschwundene“ 16. Freske in der Haigerer Stadtkirche nicht künstlerisch darzustellen, sondern den Platz frei zu lassen, um die Phantasie der Betrachter anzuregen. „Ich hätte natürlich etwas zeichnen oder malen können, bin aber froh, dass ich es nicht getan habe“, sagte die 43-jährige studierte Bildhauerin.
Dieser Argumentation konnte sich die Jury vor Ort anschließen und belohnte die Bensheimerin mit dem ersten Preis des ursprünglich anlässlich des Hessentages ausgeschriebenen Wettbewerbs. „Judith Spangs Idee hat uns überzeugt“, sagte Jury-Sprecher und Kirchenvorstandsmitglied Andreas Rompf am Sonntag bei einer Präsentation der Kunstwerke im evangelischen Gemeindehaus. Es gehe darum, die Augen zu schließen und die vorherigen 15 Fresken auf sich wirken zu lassen. Dann sehe jeder sein persönliches Bild der Auferstehung. „Gott ist nicht sichtbar. Es geht uns darum, das Unglaubliche begreifbar zu machen“, erklärte Rompf. Der Vorschlag von Judith Spang lasse dem Betrachter viel Raum: „Die Auferstehung lässt sich ohnehin nicht erklären, man kann sie nur glauben.“
Glastafel mit "Braille"-Blindenschrift
An anderer Stelle in der Kirche soll mit einer großen Glastafel die 16. Freske thematisch aufgenommen werden. Auch hier wird kein Kunstwerk, sondern nur der Bibelvers aus Markus 16, 6 zu finden sein: „Er aber sprach zu ihnen: Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus von Nazareth, der gekreuzigt wurde. Er ist nicht hier. Gott hat ihn auferweckt von den Toten.“ Auf der Glastafel wird dieser Text auch in der Blindenschrift „Braille“ zu lesen sein.
Andreas Rompf stellte den Besuchern der Präsentation die insgesamt sieben prämierten Ideen vor. „Wir waren von der Beteiligung überwältigt, damit konnte niemand rechnen. Es war immer ein wenig wie Weihnachten, wenn wieder neue Kunstwerke ankamen“, blickte das Jury-Mitglied zurück. Werke seien „von Bayern über Bitburg bis Berlin“ nach Haiger geschickt worden.
Das Interesse vieler Künstler aus den unterschiedlichsten Stilistiken sei durch die Veröffentlichung des Wettbewerbs in einer Fachzeitschrift für bildende Künstler geweckt worden, es hätten sich aber auch Künstler aus Haiger und der Region beteiligt. „In den Werken steckt oft ganz viel Persönliches der Kunstschaffenden“, sagte Rompf.
Einige hätten sogar zur Arbeitsvorbereitung die Haigerer Stadtkirche besucht, um die Fresken auf sich wirken zu lassen.
Silke Aurora aus Bitburg, Porträtmalerin, war eigens zur Prämiierung angereist und sprach von einer „sehr spannenden Geschichte“. Ihr Konzept sah vor, den ersten Entwurf gemeinsam mit Mitgliedern der Kirchengemeinde weiter auszuarbeiten. In Silke Auroras eingereichtem Vorschlag ist eine Menschengruppe unscharf dargestellt, im Mittelpunkt ist – gestochen scharf – Jesus Christ zu sehen.
Michaela Peters Entwurf wirkt ein wenig wie eine Litfass-Säule – die Ambergerin hat in einer speziellen Klebetechnik eine Collage entstehen lassen.
Farbenprächtig ist der Beitrag von Markus J. Becker aus Berlin. Im Mittelpunkt seiner abstrakten Arbeit zur Auferstehung stehen die Sonne und das Licht.
Christine Olbrich aus Vachendorf hat geschickt Text und Figur kombiniert, wobei die figürliche Darstellung in den Hintergrund rückt. Der Betrachter sieht eine Zeitreise vom Mittelalter bis in das 21. Jahrhundert, was unter anderem an den unterschiedlichen Schrifttypen deutlich wird.
Das Werk von Christine Pohlmann und Suki Meyer-Landruth (zweiimdruck) aus St. Augustin entstand als Mischung aus Holz- und Linolschnitt und zeigt „Jesus zwischen Himmel und Erde“.
Isabell Zindler-Greeb und Conny Metzler aus Eschenburg haben in ihr Werk das Motto der heimischen Kirchen für den Hessentag – „Losleben“ – mit eingebaut.
Alle Beiträge der Künstler sind verkleinert auf Roll-up-Displays im evangelischen Gemeindehaus zu sehen. Einzelne eingereichte Werke hängen im Foyer des Gemeindehauses.
Hintergrund: Fresken-Wettbewerb
Wer malt die 16. Freske? Das war die Frage, der sich eine 15-köpfige Jury zu stellen hatte, die rund 40 Bildeinsendungen zum Kunstwettbewerb 2022 sichten und bewerten musste. Vom Aquarell über Collagen bis hin zur Skulptur und vom Glasbildentwurf bis zum Holzschnitt reichte das Spektrum der Arbeiten. Einsendungen kamen von der Schweizer Grenze bis Berlin und von der Eifel bis Bayern.
Ziel der Initiatoren (Kirchengemeinde und EKHN) war es, den Bildzyklus in der Stadtkirche zu komplettieren, nachdem eine 16. Freske – vermutlich durch einen ungünstig platzierten Ofen – im Laufe der Jahrhunderte „verschwunden“ war.
Zur Jury zählten ursprünglich Bürgermeister Mario Schramm, die Pfarrerinnen Tatjana Frenzel und Kersten Marie Stegmann, Sascha Schwunk und Susann Brustolon vom Kirchenvorstand, Dekan Roland Jaeckle und Holger Jörn Becker-von Wolff (Öffentlichkeitsarbeit Ev. Dekanat an der Dill), Propsteikantorin Petra Denker, Joachim Raabe (katholische Kirchengemeinde), Anneli Franz (Malkreis Haiger), Annelie Härtl (Kunst- und-Literaturverein DillLahn), Andreas Rompf (städt. Kulturamt), Petra Eschmann (Öffentlichkeitsarbeit der EKHN), Markus Zink (Zentrum Verkündigung der EKHN) und die Architektin Ines Vetter (Regionales Bauamt der EKHN).
Der bestehende Freskenzyklus zeigt im Chorraum Motive aus der biblischen Leidensgeschichte Jesu: Vom Einzug in Jerusalem über das Letzte Abendmahl, das Gebet und die Gefangennahme im Garten Gethsemane, die Verurteilung Jesu, die Kreuzigung und das Grab. Es fehlt ein Bild der Auferstehung Jesu rechts neben der Grablegung Jesu. Der Altarraum bot in den Jahren von 1485 bis etwa 1490 flämischen Malern Platz, um ihn mit den Fresken-Zyklen auszuschmücken. Nach der Reformation wurden sie übermalt und im Jahr 1902 bei Renovierungsarbeiten „wiederentdeckt“. 1905 wurden die Fresken wieder freigelegt und dadurch für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht. (öah/rst)
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