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    Schülerdemos für Klimaschutz

    „Denkt bei euren Entscheidungen an eure Kinder“

    Esther StoschTausende Schüler in Hessen streiken bei der Demo „fridaysforfuture“ für den Kimaschutz.Tausende Schüler in Hessen streiken bei der Demo „fridaysforfuture“ für den Kimaschutz.

    „Wir sollen für die Zukunft lernen. Aber was ist, wenn diese Zukunft vielleicht nicht mehr existieren wird?“ Das fragen sich die Schülerinnen und Schüler, die Demonstrationen für den Klimaschutz organisieren. Deshalb haben sie konkrete Forderungen an die Politik. Für ihre Aktionen werden die Schüler aber auch kritisiert. Wie stehen Vertreterinnen und Vertreter aus der EKHN dazu?

    „Als junge Generation zeigen wir mit den Demonstrationen für mehr Klimaschutz unser politisches Engagement“,  erklärt Vincent Lohmann. Der Abiturient des Gymnasiums Mainzer Oberstadt gehört zu dem Team, das in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt die Demonstrationen unter dem Motto „Fridays for Future“ vorbereitet. In Mainz werden die Jugendlichen wieder am 15. Februar 2019 durch die Straßen ziehen; auch in Darmstadt, Wiesbaden und Frankfurt sind Demonstrationen geplant (Termine - siehe unten). An unterschiedlichsten Orten der ganzen Welt boykottieren junge Leute freitags ihre Schulen und Universitäten, um für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu demonstrieren. Laut dem Abkommen von 2015 sollte die Erwärmung der Erde möglichst nicht über 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen. Allerdings hat die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre in den letzten Jahren weiter zugenommen. Laut NASA waren die letzten fünf Jahre die wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen.

    Gründe, um bei der Initiative aus Schweden mitzumachen

    Vorbild für die Aktionen der Schülerinnen und Schüler ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg. Im September 2018 begann sie, täglich vor dem Parlamentsgebäude in Stockholm zu sitzen, um die Politik zum Handeln zugunsten des Klimaschutzes aufzufordern. Mittlerweile streikt sie nur am Freitag und besucht an den übrigen Wochentagen die Schule. Angefangen hatte sie alleine. Heute folgen ihr Schülerinnen und Schüler in Wiesbaden, Dublin, Brüssel, Vancouver und vielen anderen Städten dieser Welt. „Für mich ist sie zwar keine Heilige, aber Greta hat einen wichtigen Anstoß gegeben, aktiv für den Klimaschutz zu werden. Deshalb hat sie einen besonderen Stellenwert für uns“, so beschreibt Organisator Lohmann ihre Bedeutung. 

    Auf der deutschen Website von „Fridays for Future“  wird der Grund für die Aktivitäten der Jugendlichen deutlich: „Der Klimawandel ist längst eine reale Bedrohung für unsere Zukunft. Wir werden die Leidtragenden des Klimawandels sein. Gleichzeitig sind wir die letzte Generation, die einen katastrophalen Klimawandel noch verhindern kann.“  Ist diese Einschätzung nicht etwas übertrieben? „Ich würde das sogar noch drastischer formulieren: Der Klimawandel ist längst eine reale Bedrohung für unsere jeweilige Gegenwart. Denn die Auswirkungen des Klimawandels merken wir heute schon“, so schätzt Umweltpfarrer Dr. Hubert Meisinger die Lage ein. Er ist Referent für Umweltfragen im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN. 

    Die Ziele der Aktion

    Um den Klimawandel abzumildern, haben die aktiven Jugendlichen in Deutschland Ziele formuliert. Dazu gehört neben der Einhaltung des 1,5°C-Ziels ein möglichst schneller Kohleausstieg sowie ein ticketloser Öffentlicher Personen Nahverkehr. Die Mainzer Regionalgruppe fordert zudem eine fahrradfreundlichere Infrastruktur in der Stadt. 

    Reale Gefahren des Klimawandels bereits spürbar

    Auch die Jugend in Frankfurt am Main ist aktiv. Der 15-jährige Paul Harder nimmt regelmäßig an den Demonstrationen der Schülerinnen und Schüler in der Mainmetropole teil. Der Stadtschülersprecher erklärt, was ihn antreibt: „Wir demonstrieren, um verantwortliche Politikerinnen und Politiker, aber auch Leute aus der Wirtschaft aufzuwecken. Anscheinend erkennen sie nicht, wie gefährlich der Klimawandel ist.“  Vom Ausmaß der Gefahr hat er vor allem im Physikunterricht erfahren: „Wenn wir nicht gegensteuern, wird der Rückkopplungseffekt weiter zunehmen. Das heißt beispielsweise: Je wärmer es wird, desto mehr Treibhausgase entweichen in die Atmosphäre. Irgendwann würde der Moment eintreten, in dem es kein Zurück mehr gibt.“  Auch Umweltpfarrer Dr. Hubert Meisinger kennt die Gefahren: „Wer meint, dass die Auswirkungen des Klimawandels Deutschland ja nur am Rande beträfen, den oder die wird die Zukunft leider eines Besseren – oder sollte ich sagen: Schlechteren? – belehren.“ Beispielsweise sind bereits jetzt in Deutschland manche Ahorn-Bäume  aufgrund langer Trockenperioden von Krankheiten wie der Rußrindenkrankheit betroffen, die erst seit dem Jahr 2005 in der Bundesrepublik auftritt.  Beim Menschen können die Sporen des Pilzes eine Entzündung der Lungenbläschen auslösen. Umweltpfarrer Meisinger ergänzt: „Und die Brisanz der Frage, wie wir zukünftig mit sogenannten Klimaflüchtlingen umgehen, lässt sich heute schon erahnen.“ Er betont: „Es geht um weit mehr als darum, ob jetzt neue Weinsorten in Deutschland angebaut werden können.“

    Verantwortung für demokratische Gesellschaft

    Die Demonstrationen haben unterschiedlichste Reaktionen ausgelöst. „Bisher haben wir viel Zuspruch bekommen, auch von Politikerinnen und Politikern“, so der erste Eindruck des Mitorganisators Lohmann. Auch Oberkirchenrat Sönke Krützfeld vom Referat „Schule und Religionsunterricht“ in der Kirchenverwaltung der EKHN verfolgt die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler: „Ich finde es sehr gut und beeindruckend, dass die Generation, die den Klimawandel nach allem, was wir wissen, noch wesentlich stärker zu spüren bekommen wird als wir, das nicht einfach hinnimmt.“  Schülerinnen und Schüler nutzten ein urdemokratisches Mittel, die öffentliche Demonstration, um ihrer Überzeugung einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Pfarrer und Oberkirchenrat Krützfeld lobt: „Damit übernehmen sie nach Maßgabe ihrer eigenen Möglichkeiten Verantwortung in unserer demokratischen Gesellschaft.“ Auch Annika Gramoll, Referentin für jugendpolitische Bildung im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, zeigt Anerkennung: „Die Hebel, die die Jugendlichen für die benötigte Aufmerksamkeit bewegen, zeigen Wirkung. Die Verbreitung über Social Media greift an der eigenen Zielgruppe zur Selbstorganisation an und erreicht über Medien wie z.B. Twitter die Erwachsenenwelt.“  

    Herausforderung: Umsetzung der Forderungen

    Doch trotz des Zuspruchs sind die Forderungen der Aktion bis jetzt noch nicht erfüllt worden.  Vincent Lohmann nennt hier den Kohleausstieg. Laut dem „Kohlekompromiss“ soll die Kohleverstromung im Jahr 2038 in Deutschland enden. Bis Ende April 2019 wird voraussichtlich die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen vorlegen. Abiturient Lohmann kritisiert: „Für den Kohleausstieg ist das Jahr 2038 zu spät angesetzt. Wir müssen dadurch deutlich spürbarere Konsequenzen tragen.“ In einem offenen Brief hatte „Fridays für Future“ deutlich gemacht: „Der Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass lediglich elf Jahre bleiben, um die verheerendsten Folgen der Erderwärmung abzuwenden. Dafür ist ein Kohleausstieg ab 2020 unverzichtbar.“ Schüler wie Paul Harder hätten auch 2030 als Ausstiegsjahr befürwortet, um der Wirtschaft Zeit für Anpassungen zu geben. Dass 2038 allerdings zu spät für den Kohleausstieg angesetzt ist, ist auch die grundsätzliche Auffassung der Klima-Allianz, zu deren Mitglieder die EKHN gehört. „Bei der Klima-Allianz wäre ein ambitionierterer, schnellerer Ausstiegsplan mit mehr Begeisterung aufgenommen worden“, hat Umweltpfarrer Meisinger beobachtet. Er hofft auf Nachbesserungen bei der ersten Überprüfung des Ausstiegsfahrplans im Jahr 2023. 

    Obwohl die Umwelt-Ziele noch nicht erreicht sind, bleibt der Mainzer Vincent Lohmann, der seine schriftlichen Abiturprüfungen bereits abgelegt hat, zuversichtlich: „Unsere Generation wird in den nächsten Jahren wahlberechtigt sein. Und wenn Politikerinnen und Politiker gewählt werden wollen, sollten sie unsere Ziele ernst nehmen. Ich setze auf ihre Einsicht, dass wirtschaftliches Wachstum nicht über alles gehen kann. Was bringt es uns, wenn Milliardengewinne in den nächsten Jahren eingefahren werden, die Erde dadurch später aber kaum bewohnbar sein wird?“

    Widersprüchliche Interessen aus Wirtschaft und Umweltschutz 

    Trotz seiner Hoffnungen ist sich Vincent Lohmann der Herausforderungen bewusst: „Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland darauf fixiert  sind, auf wirtschaftliches Wachstum und Profitmaximierung zu setzen. Deshalb trauen sich Politiker nicht, Entscheidungen beispielsweise gegen die Interessen der Autoindustrie zu fällen.“ Lohmann kritisiert in diesem Zusammenhang, dass Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer den Vorschlag eines Tempolimits von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen ablehnt. Der Mainzer Abiturient sucht nach Gründen: „Viele Verantwortliche müssen die langfristigen Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht mehr tragen.“ Aber wenn die heutigen Jugendlichen in ein paar Jahren Kinder bekommen würden, würden diese die Folgen deutlich spüren. „Ich möchte meinen Kindern später nicht erklären müssen, warum die Welt so desaströs aussieht. Deshalb will ich jetzt die Möglichkeit nutzen, weil wir noch etwas verändern können“, erklärt Vincent Lohmann seine Motivation.

    Klimafreundlichen Lebensstil praktizieren

    Bei Vincent Lohmann bleibt es nicht bei Forderungen an die Politik, er ist selbst aktiv im Alltag: „Ich fahre jeden Tag fünf Kilometer mit dem Fahrrad zur Schule und zurück, beim Einkaufen lege ich Obst und Gemüse in mitgebrachte Beutel, stelle die Heizung beim Lüften ab und lebe vegetarisch.“  Es sei eigentlich nicht zu verantworten, dass für ein Kilo Fleisch so viel CO2 ausgestoßen werde, begründet er. Auch die Wiesbadener Abiturientin Emely Dilchert von der Theodor-Fliedner-Schule hat sich für vegetarische Ernährung entschieden. Sie erlebt, dass Umweltbewusstsein zunehmend unter den Jugendlichen akzeptiert wird. „Foodblogger, die einen veganen und umweltfreundlichen Lebensstil zeigen, kommen ziemlich gut rüber. Und die Leute, die mit dem Fahrrad in die Schule kommen, finde ich richtig cool.“ 

    Aber auch viele Vertreter aus der heute verantwortlichen Generation sind aktiv: Die evangelische Jugendreferentin Annika Gramoll achtet beim Einkaufen darauf, dass die Lebensmittel nachhaltig und fair produziert wurden. Umweltpfarrer Meisinger setzt auf den öffentlichen Nahverkehr und erinnert seine Kirche daran, „Klimaschutz ernst zu nehmen.“ Die Wiesbadener Schülerin Emely Dilchert  hat Ideen, wie die Politik einen nachhaltigen Lebensstil stärker unterstützen könnte: „Es müsste interessantere Anreize geben, um auf umweltfreundliche Angebote umzusteigen. In Norwegen dürfen Elektroautos zum Beispiel kostenlos parken.“  

    Emotionale Seite: An die Zukunft der eigenen Kinder denken

    Vincent Lohmann vermutet, dass Aufklärung über wissenschaftlich belegte Argumente nicht ausreichen werden, um die Ziele der Aktion zu verwirklichen. Auch die emotionale Seite der Menschen müsse angesprochen werden: „Menschliche Kälte kann letztendlich zu Profitgier führen. Deshalb sollten wir darauf achten, dass wir alles weglassen, was Menschen kalt macht“, so die Überlegungen des 19-Jährigen. Konkret hat er einen Impuls für Verantwortliche in Wirtschaft und Politik: „Ist euch die Zukunft eurer eigenen Kinder egal? Wenn nicht, dann denkt bei euren Entscheidungen an die Auswirkungen auf eure Kinder und Enkel.“

    Schule schwänzen für den Klimaschutz?

    Die engagierten Schülerinnen und Schüler stehen aber auch in der Kritik: Ihre Demonstrationen finden während der Schulzeit am Freitagvormittag statt. Schule schwänzen für den Klimaschutz: Ist das in Ordnung? Der Mainzer Mitorganisator Lohmann findet: „Wir sollen für die Zukunft lernen. Aber was ist, wenn diese Zukunft vielleicht nicht mehr existieren wird? Es gab bereits Klimademos in der Vergangenheit, doch die mediale Aufmerksamkeit war übersichtlich. Durch unseren zivilen Ungehorsam werden wir eher ernst genommen und gehört.“ Diese Einschätzung teilt die evangelische Referentin Annika Gramoll: „Wenn die Schülerinnen und Schüler den Unterricht ausfallen lassen, generieren sie damit die Aufmerksamkeit der Erwachsenenwelt.“ Von manchen Stimmen aus dieser Erwachsenenwelt ist zu hören, dass die Schüler nur für das Klima demonstrierten, weil sie den Unterricht vermeiden wollen. Das ärgert die Wiesbadenerin Emely Dilchert, sie differenziert aber auch: „Klar – schwarze Schafe gibt es überall. Aber eigentlich ist es genau umgekehrt: Manche Schüler kommen nicht zu den Demos, weil sie sich vor Konsequenzen fürchten. Denn als eine Demo am Zeugnistag außerhalb der Unterrichtszeit stattgefunden hat, kamen wesentlich mehr Schülerinnen und Schüler.“ Emely Dilchert wundert sich über die Kritik: „Erst werfen uns die Erwachsenen vor, dass sich die Jugend nicht mehr für Politik begeistern kann. Wenn wir es tun, wird es uns vorgeworfen!“  

    Von Umweltpfarrer Meisinger erhalten die demonstrierenden Schüler jedenfalls Zustimmung. Er verrät: „Wir haben im Theologiestudium auch schon Seminare ausfallen lassen, weil wir uns politisch engagiert haben, um zum Beispiel bessere Studienbedingungen zu erhalten. Wenn das damals wichtig war – wie viel wichtiger sind heute Demonstrationen für mehr Klimaschutz?“ 

    Die rechtlichen Grundlagen

    Oberkirchenrat Sönke Krützfeld vom Referat „Schule und Religionsunterricht“ in der Kirchenverwaltung kennt die rechtliche Lage: „Das ist schulrechtlich nicht erlaubt. Hier wird die Einhaltung der Schulbesuchspflicht missachtet. Die Demonstration könnte ja auch nach dem Ende des Unterrichts stattfinden.“ Allerdings zeigt der Vater von acht Kindern großes Verständnis für die Aktionen der Jugendlichen: „Aber aus meiner Sicht hat dieser Verstoß gegen die Schulbesuchspflicht eine ganz eigene Aussage: Die Schülerinnen und Schüler nehmen die Folgen des eigenen Handelns bewusst in Kauf, weil ihnen das, wofür sie eintreten, so wichtig ist.“  Der Pfarrer und Oberkirchenrat kann nachvollziehen, dass die Jugendlichen die Schule, die ihnen helfen solle, ihr Leben zu meistern und ihre Zukunft zu gestalten, hinten anstellen, weil in der Perspektive des Klimawandels diese Zukunft ja gerade massiv gefährdet werde. Sönke Krützfeld empfiehlt: „Das kommt dann einer Symbolhandlung schon sehr nahe und das würde ich als Religionslehrer auch im Unterricht aufgreifen. Im Hinblick auf die notwendigen schulrechtlichen Folgen würde ich das übrigens in die Entscheidungen einbeziehen.“  

    Die nächsten Demonstrationen – offen für alle Generationen

    Bei den Demonstrationen haben allerdings nicht nur Jugendliche die Gelegenheit, ein Signal zu setzen. „Jeder ist willkommen – ob alt oder jung. Wenn Senioren für die Zukunft ihrer Enkel demonstrieren wollen, können sie gerne mitmachen“, lädt Vincent Lohmann ein. Dabei unterstreicht er aber auch, dass die Organisatin der Demonstrationen in der Hand der Schülerinnen und Schüler bleiben werde.

    Demonstrationen für den Klimaschutz

    15.2.2019 – Mainz, 10 Uhr Treffpunkt am Hauptbahnhof
    15.02.2019 – Wiesbaden, 12 Uhr, Treffpunkt am Hauptbahnhof
    15.02.2019 – Darmstadt, 10 Uhr, Treffpunkt am Luisenplatz
    Jeden Freitag - Frankfurt am Main, 10 Uhr, Treffpunkt an der Bockenheimer Warte
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