Flüchtlinge
„Es kommen keine Massen, sondern Menschen mit Träumen und Hoffnungen“
privatEine Landkarte am Baum- mit einfachsten Mitteln informiert das Netzwerk „w2eu“ ankommende Flüchtlinge auf der Insel Lesbos über den Weg zur Hauptstadt. Dort müssen sich alle registrieren lassen.04.09.2015 esz Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
von Renate Haller (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Mit der Hoffnung auf ein neues Leben flüchten Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran oder Irak. Auf Lesbos, der drittgrößten griechischen Insel, erreichen sie zwar Europa, landen zunächst jedoch im Chaos. Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf hat aber auch Menschen getroffen, die dort fantasievoll Hilfe leisten.
„Die Zustände sind chaotisch“, sagt Sabine Müller-Langsdorf, Referentin für Friedensarbeit im Zentrum Ökumene in Frankfurt. Sie meint die Situation auf Lesbos, wo bis Ende Juli weit über 40.000 Menschen angekommen sind. Die griechische Insel zählt 90.000 Einwohner und ist auf so viele Menschen schlecht vorbereitet. Vier Wochen war die Pfarrerin vor Ort, hat ein wenig Urlaub gemacht, sich vor allem aber mit der Flüchtlingssituation beschäftigt.
Stundenlang Schlange stehen für Registrierung
Die Menschen müssen sich im Hafen von Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, registrieren lassen, um eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung für Griechenland zu bekommen. Die brauchen sie, um mit der Fähre die Insel verlassen zu können. An der Registrierungsstelle gibt es aber nur zwei Fingerabdruckmaschinen, entsprechend langsam geht es voran. „Es gibt keinen Schatten und keine Toiletten“, sagt Müller-Langsdorf. Die Menschen stellen sich schon nachts an und stehen dann sechs bis acht Stunden, bis sie an der Reihe sind.
Zu jenen, die an diese Menschen Wasser verteilt haben, gehörte in den vergangenen Wochen auch immer wieder die Pfarrerin. Sie hatte sich der Initiative „w2eu“ (welcome to europe) angeschlossen, einer internationalen Gruppe von Flüchtlingsaktivisten. Diese Gruppe hat sich 2009 auf Lesbos gegründet. Die Mitglieder sprechen die Flüchtlinge an, sagen ihnen, wo die Registrierungsstelle ist, wo das Aufnahmelager und wo sie Medizin bekommen können. Sie zeigen den Ankommenden auf Karten, wo sie Hilfe erhalten und welche Wege sie gehen müssen. „Das macht sonst keiner“, sagt Müller-Langsdorf.
Erinnerungen an Einsamkeit und Gefühl der Ohnmacht
Für zehn Tage im August hatte die Initiative ehemalige Flüchtlinge, die inzwischen einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, zu einem Camp auf Lesbos eingeladen. Es kamen 40 junge Menschen, 20 von ihnen sind einst selbst auf ihrer Flucht auf Lesbos angekommen. Die anderen 20 waren engagierte Deutsche. In kleinen Gruppen sind sie zu den Orten gegangen, an denen sich auf Lesbos die Flüchtlinge aufhalten. Sie haben Informationshefte in verschiedenen Sprachen verteilt, haben Babynahrung besorgt, mit den Kindern gemalt oder auch im Hafen Musik gemacht. Eine willkommene Abwechslung für die erschöpften Menschen.
Die Seelsorgerin war zweimal mit einer solchen Gruppe unterwegs. Für die ehemaligen Flüchtlinge seien das einerseits gute Erfahrungen gewesen, weil sie ihr Wissen weitergeben konnten, andererseits aber auch schwere Stunden. „Da kamen viele Erinnerungen wieder hoch, an ihre eigene Flucht, an Gefühle der Einsamkeit und Ohnmacht“, erzählt Müller-Langsdorf.
Kooperationen zwischen griechischen und deutschen Gemeinden möglich
Sie hat auf der Insel auch viele andere Menschen getroffen, die sich um Flüchtlinge kümmern. Zum Beispiel hat sie Kontakt zu einer orthodoxen Gemeinde geknüpft, die eine Obdachlosenspeisung und eine Kleiderkammer anbietet. Sie kann sich vorstellen, in Deutschland eine Partnergemeinde zu finden, die die Gemeinde in Griechenland bei ihrer Arbeit unterstützt. „Wir haben als Kirche internationale Kontakte“, sagt sie. Die könnten für die Flüchtlingsarbeit genutzt werden.
Als weiteres Beispiel nennt sie eine Gruppe, die ein Willkommenscafé aufbauen will, einen festen Ort, an dem die Flüchtlinge Hilfe finden können. Auch mit dieser Gruppe kann sich die Seelsorgerin eine längerfristige Kooperation vorstellen.
Einheimische protestieren gegen Illegalisierung der Hilfe
Wenn Müller-Langsdorf über die Insel gefahren ist, hatte sie oft Flüchtlinge im Auto. Bis vor kurzem war es allerdings verboten, illegal Eingereiste mitzunehmen. Wer das tat, machte sich strafbar. Eine Griechin hielt sich nicht an das Verbot, wurde erwischt und vor Gericht gestellt. Dort erklärte sie, dass sie von ihren Eltern und später in der Schule gelernt habe, Hilfsbedürftigen zu helfen. Genau das habe sie getan. Die Richter hatten ein Einsehen und verzichteten auf eine Strafe. Dennoch war es weiterhin verboten, Flüchtlinge im Auto mitzunehmen. Daraufhin setzten sich viele Einheimische in ihr Auto und protestierten mit einem langen Konvoi gegen das Verbot. Schließlich wurde es aufgehoben. Um Touristen die Unsicherheit zu nehmen, hat Müller-Langsdorf ein Papier verfasst, mit dem sie über die neue Regelung informiert und es in Hotels und Autovermietungen hinterlegt.
Nicht nur selbstlose Hilfe
Neben den vielen guten Initiativen auf der Insel gibt es aber auch Menschen, die an den Flüchtlingen einfach nur verdienen wollen. Die Pfarrerin hat beispielsweise einen jungen Mann getroffen, der eine Stromleitung angezapft hat. Daran hat er einen Fünffach-Stecker angeschlossen und vermietet nun die Steckdosen für fünf Euro pro Stunde an Flüchtlinge, die daran ihr Handy aufladen.
Sabine Müller Langsdorf hat in den vergangen Wochen viel gelernt, sagt sie. Aber vor allem eines ist ihr wichtig: „Es kommen keine ‚Massen‘ und ‚Flutwellen‘, sondern Menschen mit Träumen und Hoffnungen.“
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