Im Kirchhof wird das Osterfeuer ange- zündet. Die ersten Frühaufsteher sind schon da. Langsam füllt sich der Kreis, leises Gemurmel, Begrüßungen. Noch ist es dunkel ringsum, nur das Feuer macht hell und warm. Vögel zwitschern. „Bleibet hier, wachet mit mir“ – leise singend ziehen wir in die dunkle Stadtkirche. Vorsichtig sucht jeder seinen Platz. Es wird wieder still. Wir hören die ersten Texte aus der hebräischen Bibel: von der Schöpfung allen Lebens, dem Auszug aus Ägypten, der Befreiung aus der Sklaverei und der Eröffnung eines neuen Lebensraumes durch die zehn An- Gebote.
Und dann ein erster Höhepunkt. Die Osterkerze wird in die dunkle Kirche getragen: eine kleine Flamme mit doch so großer Wirkung. Das Licht breitet sich aus. Jede und jeder hält eine brennende Kerze in der Hand. Wir hören das Osterevangelium: „Christ ist erstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Zum ersten Mal der Klang der Orgel an diesem frühen Ostermorgen. Die Gemeinde antwortet mit dem Osterchoral.
Inzwischen haben die ersten Sonnenstrahlen die Rosette erfasst. Ein goldener Schein fällt auf die Orgel, dann auf die versammelte Gemeinde. Zwei Konfirmandinnen werden getauft. Sie sind angespannt und doch stolz, wie auch die Familien, die sie begleiten. Am Ende noch einmal die Orgel in ihrer ganzen Klangfülle. Die Glocken läuten den Ostersonntag ein. Im Gemeindehaus wartet das gemeinsame Osterfrühstück auf uns.
Die Osternacht ist für mich der Gottesdienst im Kirchenjahr, der mich am meisten bewegt. Dunkelheit und Licht liegen so nahe beieinander. Die Spannung von Tod und Leben ist greifbar, spürbar. Kreuz und Auferstehung bleiben kein unfassbares Ereignis.
Schon die ersten Christen hatten große Mühe, Ostern zu verstehen. Der Stein weggerollt, das Grab leer, der fremde Freund, der die beiden Emmaus- Jünger auf ihrem Weg nach Hause begleitet. Sie teilen Brot und Wein miteinander und es fällt ihnen wie Schuppen von den Augen: ER ist da, mitten unter ihnen, und doch nicht mehr am Leben. Von neuem begeistert kehren sie um, erzählen ihren Freunden von dem, was sie erlebt haben. Eine neue Geschichte beginnt.
Diese besondere Nacht ist die Verbindung von Karfreitag und Ostern, von Tod und Auferstehung. Sie erfüllt mich jedes Mal mit neuer Hoffnung, die mich über die Mühsal und Todeserfahrungen im Alltag hinausführt, wieder aufstehen lässt. Im Glauben gestärkt kann ich meinen Weg fortsetzen.
Dekan Reinhard Zincke
Evangelisches Dekanat Dreieich
Pfarrer an der Stadtkirche,
Evangelische Kirchengemeinde Langen
Osternacht
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken