Ein Psalm für alle Fälle
ANgeDACHT für August 2024 von Pfarrerin Birgit Schlegel, stellvertretende Dekanin im Evangelischen Dekanat Dreieich-Rodgau
„Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“
(Psalm 147,3 nach der Lutherbibel, Monatslosung für August 2024)
Liebe Leserin, lieber Leser,
können Sie sich einen Gottesdienst ohne Psalmen vorstellen?
Kaum denkbar, wenn auch möglich. Aber irgendetwas würde den meisten wohl fehlen.
Von Anfang an gehören die Psalmen zu unseren christlichen Gottesdiensten. Von einigen frühchristlichen Frauen lesen wir, dass sie sogar Hebräisch lernten, um sie besser zu verstehen und während des Gottesdienstes singen zu können, wie der Kirchenvater Hieronymus mit leichtem Neid Ende des 4. Jahrhunderts meinte.
Nicht nur zu Gottesdiensten, auch zu unserem Leben gehören die Psalmen.
Viele Menschen suchen sich nämlich bis heute für wichtige Ereignisse in ihrem Leben Psalmworte aus. Für die Taufe, für die Konfirmation, manchmal auch für die Trauung, für Jubiläen aller Art - und auch für den Abschied von einem lieben Menschen.
Ein Psalmwort bringt auf den Punkt, was man denkt, sich wünscht, erhofft.
Es tröstet, ermutigt und versichert Gottes Begleitung, egal, was passiert.
Sie sind ein Schatz, die Psalmen. Diese uralten Lieder und Gebete. Einzigartig und kostbar.
Der berühmte Theologe Dietrich Bonhoeffer spricht vom „unvergleichlichen Schatz“, die Dichterin Nelly Sachs voller Poesie von „Nachtherbergen für die Wegwunden“. Und die Theologin Dorothee Sölle sagte sogar: (Die Psalmen sind) „eines der wichtigsten Lebensmittel“, die man essen, trinken, kauen muss… „manchmal spucke ich sie aus und manchmal wiederhole ich mir einen (Psalm) mitten in der Nacht. Sie sind für mich Brot.“
Nachtherbergen, Brot – und „ein Geschenk Israels an die Welt“ (Nathan Peter Levinson) – ein Geschenk, das selbstverständlich zu Jesus von Nazareth gehörte und auch zur Urgemeinde. Keine anderen Texte werden im Neuen Testament so oft zitiert wie Psalmworte.
Wenn wir uns auch heute noch Worte aus den Psalmen leihen, um unser Verhältnis zu Gott auszudrücken, dann bekennen wir damit auch unsere Verwurzelung und unsere Verbundenheit mit dem jüdischen Volk – so wie es die Verfassung unserer Kirche in Hessen und Nassau bezeugt.
Wie schön, dass es in diesen Monat August ein Psalmwort als Losung gibt:
Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.
Welch eine Verheißung! Heilung ganz und gar bis in die Tiefe unserer Seele! Gott heilt zerbrochene Herzen. Schmerz und tiefe Trauer und auch das Gefühl der Ausweglosigkeit und Verzweiflung werden verschwinden. Alle Wunden, die das Leben uns zugefügt hat, werden von Gott gesehen und verbunden, damit sie heilen und wir wieder leben können.
Hier wird etwas beschworen, was wir vermutlich dringend nötig haben. Als einzelne Person, jede, jeder für sich - und als Gesellschaft hier und überall auf der Welt. Die Hoffnung, die aus diesen Worten spricht, berührt mich sehr und zugleich denke ich: Kann das wirklich stimmen? Wir sehen doch überall das Scheitern, den Unfrieden, die Gewalt und den Schmerz, den Menschen sich gegenseitig zufügen. Das soll alles überwunden werden?
Psalm 147 steht am Ende unseres Psalters. Er ist ursprünglich ein Wallfahrtspsalm und lud die Menschen, die von überallher nach Jerusalem kamen, dazu ein, Gott zu loben und zu preisen. Deshalb holt der Psalm auch weit aus und nimmt die ganze Welt in den Blick: Gott ist der Schöpfer der Welt und erhält sie am Leben. Er zählt die Sterne und kennt sie alle mit Namen. Groß ist er und von großer Kraft, sagt der Psalm. Gott schafft Frieden. Er segnet die Kinder und versorgt Mensch und Tier, selbst „die jungen Raben, die zu ihm rufen“.
Keine Freude aber hat er an Drohgebärden und militärischer Gewalt. Das betont der Psalm ausdrücklich. Gott gefallen vielmehr diejenigen, die auf seine Güte hoffen. Deshalb hat er sein gutes Wort und seinen Geist (ruach) geschickt, auf die wir dankbar hören können.
Für mich ist dieses Psalmwort letztendlich eine Aufforderung, mit allen Widersprüchen und Herausforderungen zu leben, eigene Erfahrungen mit anderen zu teilen, einander beizustehen und zu trösten und dabei immer wieder nach Gott Ausschau zu halten und auf seine Hilfe zu hoffen. Dankbar, traurig, verletzt, geheilt, getröstet… im Vertrauen, dass Gott Gutes für unser Leben im Sinn hat und seinen Segen hineinlegt.
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