Hört nicht auf!
ANgeDACHT für März 2022 von Pfarrerin Leonie Krauß-Buck, Evangelische Kirchengemeinde Seligenstadt und Mainhausen
»Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist;
seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen.«
Brief des Paulus an die Epheser, Kapitel 6, Vers 18
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein durchschnittlich gläubiger Mensch betet dreieinhalb Minuten am Tag. Kirchliche Mitarbeiter*innen bringen es im Durchschnitt auf sieben Minuten.
Das stand neulich in meiner Zeitung. Und bevor Sie mich fragen, wie, um Himmels Willen, die Umfrage ausgesehen haben könnte, die dieses Ergebnis erzielt hat, sage ich Ihnen: Ich habe keine Ahnung. Ich finde, wie Sie wahrscheinlich auch, diese Statistik eher eigenartig. Beim weiteren Nachdenken ergeben sich jedenfalls in der Folge mehr Fragen als Antworten.
Haben Sie aber vielleicht trotzdem schnell und unauffällig, so wie ich, nachgerechnet, ob Sie über oder unter dem Durchschnitt liegen? Und darüber nachgedacht, ob das Ergebnis etwas über Ihren Status, Ihre Beziehung zu Gott, aussagen kann?
Ich hatte nach meiner kleinen Selbstrecherche ein schlechtes Gewissen. Ich liege in der Regel nämlich unter dem Durchschnitt, zumindest an einfachen Werktagen.
Seit Jahren nehme ich mir vor, Gebetsrituale zu installieren, den Tag zum Beispiel mit einem Gebet anzufangen und abzuschließen, mir feste Zeiten für mein Gespräch mit Gott zu nehmen, innezuhalten, zur Ruhe zu kommen. So wie ich es bei anderen erlebe und es mich immer wieder tief anrührt. So will ich auch meinen Glauben leben.
Aber das halte ich nicht durch. Jeder Tag hat seine eigene Mühe. Und so bete ich den ganzen Tag immer mal wieder, aber zum größten Teil in kurzen Stoßseufzern, die ich gen Himmel schicke und komme ehrlicherweise dabei auf höchstens zwei Minuten.
Die Theologin in mir beruhigt mich.
Denn, was wäre das für eine Beziehung mit Gott, wenn sich ihre Qualität über die Länge der Gebete definieren würde?
Folge ich dem Monatsspruch für März aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus, dann geht es bei der Aufforderung, im Gespräch mit Gott zu bleiben, ja eher um die Beständigkeit, die Kontinuität.
Es geht darum, das Leben im Angesicht Gottes zu führen und im Gespräch, in der Auseinandersetzung mit Gott, zu bleiben.
Es geht darum, auch in schwierigen Zeiten, wenn ich Gott eher anflehen und anklagen will als alles andere, den Kontakt nicht aufzugeben, auch im Zorn und in der Scham, der Hilflosigkeit und der Schuld Gott als mein beständiges und verlässliches Gegenüber zu wissen.
Nicht aufzuhören zu beten, bedeutet auch, mich selbst und die Welt nicht aus den Augen zu verlieren, wachsam zu bleiben, interessiert und den Menschen zugewandt. Und das kann man nachweislich täglich auch in dreißig Sekunden in eine Form bringen. So lange dauert übrigens ein Vaterunser.
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