Es ist ein Jammer!
von Pfarrerin Leonie Krauß-Buck, Evangelische Kirchengemeinde
Seligenstadt und Mainhausen
»Christus ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.«
Brief des Paulus an die Kolosser Kapitel 1, Vers 15
Monatsspruch für April 2021
Liebe Leserin, lieber Leser, es ist ein Jammer!
Wenn man wenigstens das gemeinsam laut tun dürfte, das Jammern - aber es ist ja, wie das Singen, aus gutem Grund in unseren Kirchen und Gemeindehäusern gerade nicht erlaubt, weil mit dem Ausstoß von zu viel Luft verbunden…
Und so klagen wir still vor uns hin, wie gerne wir wieder einmal laut im Gottesdienst singen würden, wie schön es wäre, in einem großen Chor für ein Konzert zu proben.
Es sind die gemeinsamen Lieder, die uns besonders miteinander verbinden, Vergangenes und Zukünftiges verknüpfen. Es sind vor allem unsere Lieder, mit denen wir Zuversicht und Sorge, Hoffnung und Zweifel in wenigen Worten ausdrücken und weitertragen.
Wie schön ist es, wenn eine*r ein Lied anstimmt, und dann andere ihre Stimme einfließen lassen, auf Takt und Harmonie achtend, sodass aus einer einfachen Melodie ein großes Ereignis wird.
In der Advents- und Weihnachtszeit haben wir es deshalb kaum ausgehalten, dass wir unsere vertrauten Lieder in den Gottesdiensten nur hören, nicht laut hinausrufen konnten. Aber da hofften wir noch auf das neue Jahr und seine Möglichkeiten.
Jetzt sind wir einige Monate und Erkenntnisse weiter und fragen uns: Wie soll es an Karfreitag ohne gemeinsames ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ und am Ostermorgen ohne ‚Christ ist erstanden‘ werden? Und werden wir in absehbarer Zeit das schmerzlich Vermisste nachholen können? Oder werden wir uns die vertrauten Lieder abgewöhnen?
Es ist ein Jammer, dass wir die Melodie des Liedes nicht kennen, mit dem der Schreiber des Kolosserbriefes versucht, an Bekanntes anzuknüpfen und Mut zum Neuen zu machen.
Er erinnert an ein altes Lied, einen Christushymnus, der berühren und zu Herzen gehen will: Die Gemeinde ist in einer Krise und droht zu zerbrechen. Die Gläubigen sind verunsichert. Eben haben sie noch fest daran geglaubt, dass sie mit Christus nicht nur gestorben, sondern mit ihm lebendig gemacht worden und auferstanden sind.
Aber weil ungewiss ist, was das bedeuten könnte, gerät auch ihre Gemeinschaft ins Wanken. Das „Neu-Sein“ in Christus ist nicht klar definiert. Die Grundlagen ihres Vertrauens werden in Frage gestellt.
Der alte Christushymnus, Losung für den Monat April, führt weit vor die Osterereignisse zurück und gibt klare Handlungsanweisungen: „Wenn Ihr nach Gott sucht, schaut darauf, wie Jesus gelebt hat und wie er gestorben ist. Jesus Christus, Ebenbild Gottes, hat Grenzen überwunden, scheinbar Unumstößliches mit klaren Worten und unmissverständlichen Zeichen ins Wanken gebracht, einem neuen Denken und Handeln Raum geschaffen. Mit seinem Leiden und seinem Tod hat er dem Tod die Macht genommen. Die Frage ist deshalb nicht mehr, was den Tod bringen könnte, sondern, was dem Leben dient.“
Und was dient dem Leben?
So vieles birgt diese Frage in sich, und so vieles sollten wir wagen, um den Antworten näher zu kommen. Unsere alten und vertrauten Lieder werden uns trotzdem oder gerade deswegen auch in den kommenden Zeiten nicht abhandenkommen. Sie bleiben unverzichtbar. Und vermutlich entstehen gerade aus den vielen alten Melodien in der Not neue Hoffnungslieder entstehen, die wir in absehbarer Zeit laut miteinander singen werden können.
Ihnen eine gesegnete Karwoche und dann ein fröhliches Fest der Auferstehung, mit vielen Liedern im Herzen und klugen Gedanken im Kopf!
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