Ein Mensch wie Sie und ich
von Pfarrerin Kornelia Kachunga,
Evangelische Kirchengemeinde Obertshausen
Martin ist ein schöner Name. Besonders im Reformationsjubiläumsjahr 2017. Mein Großvater hieß so. Und mein anderer Großvater hieß Karl. Daraus machte meine Mutter den wunderbaren Namen Karl-Martin für meinen Bruder. Meine Schwester heißt Katharina. Da könnte man jetzt an Katharina von Bora denken, die spätere Ehefrau von Martin Luther. Aber diesen Bezug hatte meine Mutter bei der Namensgebung damals wohl nicht im Kopf. Ihr ging es um die wohlklingenden Vokale im Namen.
Martin und Katharina, zwei Namen die uns dieses Jahr, ob wir wollen oder nicht, begleiten werden. Natürlich in Bezug auf die Reformation vor 500 Jahren. Manchmal frage ich mich allerdings, was Martin Luther wohl dazu sagen würde, wenn er diesen Hype und diese Vermarktung um seinen Namen und seine Person miterleben würde? Wahrscheinlich würde er eine Predigt rausschmettern, die sich gewaschen hat. War es nicht gerade dieses Menschenwerk, das er verabscheute? War es nicht gerade die auf die Spitze getriebene Hierarchie und Menschbezogenheit innerhalb des kirchlichen und gesellschaftlichen Machtapparates, die er (zu Recht) kritisierte?
Wenn ich Lob für meine Arbeit bekomme, dann freut mich das. Es motiviert mich. Aber manchmal gibt es auch Lob, das „in den Himmel abhebt“ und bei mir eher zwiespältige Gefühle hinterlässt und den Drang, mich selbst wieder „auf den Boden der Tatsachen“ zurückzuholen, wozu gehört, dass ich endlich, ersetzbar und fehlerhaft bin. Manch ein Gegenüber mag das dann nicht hören. Irgendwie scheinen wir Menschen Vorbilder, Ideale und „Himmelsfiguren“ zu brauchen. Es ist ja auch gar nicht so leicht, den Spagat zwischen „Einzigartigkeit“ und „Ersetzbarkeit“ auszuhalten. Der Schlüssel liegt wohl darin, mitten in der Ersetzbarkeit und Endlichkeit des Lebens die Einzigartigkeit eines jeden Menschen zu erkennen und wahrzunehmen. Beziehungsweise das Vollkommene des Himmels mitten im Unvollkommenen der Erde zu suchen und zu finden.
Wer das tut, der muss sich z.B. auch überhaupt nicht mehr an den Schattenseiten des Martin Luther stören. Es zeigt nämlich nur, dass er genau wie Sie und ich Mensch war und damit unvollkommen und fehlerhaft. Erst in Anbetracht dieser Tatsache macht doch die Gnade Sinn!
Und allein durch diese Gnade konnte Gott dennoch Großes durch ihn bewirken. Das ist das, woran ich mich festhalten will. Es geht nicht darum, einen oder auch mehrere Namen der Reformation hervorzuheben und sie zu Idealen zu stilisieren. Und auch ich selbst muss zu keinem Ideal werden. Viel lieber will ich dazu beitragen, dass noch weitere Martins und Katharinas durch ihr ganz bodenständiges Leben, in dem Gottes Liebe eine Rolle spielt, sichtbar werden. Und dass dazu auch Stefans und Thomasse, Claudias und Annas kommen, die durch ihr ganz alltägliches Leben die Kraft und Gnade Gottes weitergeben und so zu positiven Veränderungen beitragen. Vielleicht wohnt ja der nächste Reformator gleich bei Ihnen nebenan, mit einem ganz normalen Namen.
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