"Dummheit regiert, wenn Bildung krepiert"
von Heidemarie Ernst, Stellvertretende Leiterin der
Evangelischen Familienbildung im Kreis Offenbach
Die Botschaft Martin Luthers "An die Ratsherrn aller Städte deutschen Landes, dass
sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen" (1524)“ erscheint auch heute noch in vielerlei Hinsicht aktuell.
Forderungen wie „Deutschland zur Bildungsrepublik machen“ (Merkel 2009) wirken gerade in Wahlkampfzeiten wie leere Worthülsen nahezu aller Parteien, die eher der Selbstinszenierung dienen, ohne reelle Verbesserungen in Erhalt und Ausbau des Bildungssystems anzugehen.
Nicht nur marode Schulgebäude oder die Erfahrungen mit der Pisa-Studie spiegeln den Stellenwert unserer Bildungslandschaft wider, sondern vor allem auch der Umstand, dass Bildungschancen, Qualifikationen und Abschlüsse heute nachweislich wieder mehr von der sozialen Herkunft abhängig sind. „70% der Kinder von Geringverdienern bleiben auch später Geringverdiener“, stellt auch unsere Familienministerin Katarina Barley dazu fest.
Wenn man/frau es sich leisten kann, schickt man/frau den Nachwuchs doch lieber auf Privatschulen, um möglichst Konflikte durch Kollisionen verschiedener Milieus zu vermeiden und einen qualifizierten Bildungsstandard gewährleistet zu sehen.
Waren es nicht vor allem auch die reformatorischen Botschaften und Errungenschaften aus der Zeit Martin Luthers, Philipp Melanchthons und Johannes Gutenbergs, die die Voraussetzungen schufen, dass Bildung und Wissen allen zugänglich wurden und ihren Stellenwert als „Herrschaftsinstrument“ verringerten?
Eine früh einsetzende Bildung und Ausbildung sollte seitdem diese reformatorischen Bemühungen, eine Bildung für alle zu ermöglichen, nachhaltig prägen.Die Gründung von protestantischen Schulen und Hochschulen institutionalisierte den Ansatz, theologisches und säkulares Wissen zu einer „universalen“ Bildung zusammenzufassen.
Es entspricht dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche, den Menschen Orientierung, Wissen und Stärkung anzubieten, weil sich der Protestantismus seinem Wesen nach dafür einsetzt, dass sich Menschen als mündige Bürger frei ein Bild machen können, frei ihre Meinung äußern können und ein Recht darauf haben, angemessen und objektiv informiert zu werden.
Bis heute gehört die evangelische Kirche zu den größten Bildungsanbietern in Deutschland, die Menschen in allen Lebenslagen und Lebensphasen Bildungsangebote macht. Damit übernimmt und gestaltet sie ihre gesellschaftliche Verantwortung im reformatorischen Sinn. Evangelische Bildungsarbeit agiert im Ziel ergebnisoffen und wirkt nicht missionarisch, indem sie Menschen auf „eine Wahrheit“ verpflichtet. Sie reflektiert christliche Überzeugungen und Grundhaltungen und öffnet den Menschen Gelegenheiten und ein Gegenüber zu einem offenen Diskurs in Augenhöhe.
Nur wer alles genau betrachten kann und möglichst mehrere Sichtweisen, Argumente und Deutungsangebote bekommt, kann sich auch selbst ein Urteil bilden und entscheiden, was er/sie will, glaubt, denkt und für richtig hält.
„Evangelisches Profil ist dort, wo wir grundsätzlich eine „gottoffene“ Haltung haben, mit Gottes Wirken rechnen, und dass er oder sie das Beste für uns Menschen will, auch dort, wo wir unseren Glauben nicht in Sprache fassen.“ (Heike Wilsdorf, Vorsitzende der Landesorganisation für Evangelische Erwachsenenbildung in Hessen)
In diesem Sinne sind auch wir Bildungstätige in der evangelischen Kirche immer wieder gefordert uns aktuell der Frage zu stellen: Was brauchen die Menschen? Was sind die Herausforderungen unserer Zeit? Dabei gilt es auch heute, aktuelle Wege und Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung des Wissens zu gewährleisten: ganz im Sinne der Reformation.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken